Klemperer, Viktor
ohne die Frage: wie oft noch?
Der * Voltaire ist fertig, das übrige 18. Jh. liegt dunkel vor mir. Geld Geldsorgen, Wirtschaftsmühen unverändert. –
Sehr sanftes Wetter, so daß * E. ständig im Garten arbeitet. In der letzten Zeit laborierte sie viel an Grippezustand, da tat ihr das besonders gut. Ihre Zahnbehandlung, momentan unterbrochen, zieht sich ins Endlose. Die Kosten werden in die Hunderte gehen; es ist mir völlig dunkel, wo ich das Geld zusamenkratzen soll. Die Januar-Lebensversicherung werde ich sistieren müssen. –
Seit Tagen schwerer Kampf mit Bindehaut-Entzündung. Trotzdem vieles Vorlesen.
Sprache des 3. Reichs. Die Ewigen Weinofferten sind selten Heil Hitler unterzeichnet, meist: mit deutschem Gruß. Das ist eine diskrete Art, die deutschnationale Gesinnung anzudeuten, die sie bei ihren Kunden, Professoren u. höheren Beamten, voraussetzen. Am 7. Dez. war eine Offerte der Ferd. Pieroth schen Weingutsverwaltung Burg-Lagen bei Bingen am Rhein unterschrieben: Mit freundlicher Empfehlung ergebenst. Das ist eine Heldentat und eine erste Schwalbe. – * Kempinski zeigt Delikateßkörbe an: Korb Preußen 50 M, Korb Vaterland 75 M. – Encyklopädischer Stil der anderen Seite, alias nackte Erpressung unterm Florhemdchen der Höflichkeit: a) Vor etwa einem Jahr verlangte die Reichsschaft der Lehrer genaue Personalien, über arisch oder nichtarisch , Stellung in SA, SS usw. Das kam offenbar nur [für] die Mitglieder ihrer Organisation in Frage, u. das Sekretariat der T. H. meinte auch, ich brauchte das nicht zu beantworten. Jetzt komt eine sehr höfliche Reclamation. Binnen fünf Tagen ausfüllen, andernfalls wären wir für Begründung des Nichtausfüllens dankbar. Offenbar liege ein Mißverständnis vor, da wir nicht annehmen können, daß Sie als Beamter u. Jugenderzieher sich bewußt dem nationalsocialistischen Aufbau entgegenstemmen wollen – (Ich füllte aus, mit Paßbild, das ich machen ließ. Das Sekretariat der T. H. gab es weiter u. schrieb dazu, es selber trage die Verantwortung für mein Schweigen. Das war sehr hilfreich von * Lehmann 1 u. zeigt, wie ernst er die Drohung nahm.) b) Ein Appell an die Einwohnerschaft von Dölzschen, lag vor etwa acht Tagen im Briefkasten. Richtet sich stark communistisch gegen die höheren Beamten, die genug getan zu haben glauben, wenn sie die Plakette der Winterhilfe (23 % der Einkomensteuer!) besitzen, die beim Eintopf durch das Dienstmädchen 50 Pf geben lassen, während es aus ihrer Küche nach Gänsebraten riecht, die sich für zu klug u. zu gut halten, um die Versamlungen u. Veranstaltungen der den Staat tragenden N.S.D.A.P. zu besuchen u. wenigstens einzelne Brocken n.s. Weltanschauung in sich aufzunehmen. Dann wurden lobens Exempla pflichttreuen Verhaltens armer Leute gegenübergestellt. Dann hieß es: Das, meine Dölzschener Volksgenossen, sind Opfer! Jenes aber sind klägliche, erbärmliche Almosen! Darum besinnt Euch auf Eure Pflicht gegenüber der Volksgemeinschaft, auf daß der Vorwurf der Volksfremdheit für Euch nicht zur Beschuldigung als Volksschädling werde! Gez. vom Vorsitzenden der Parteiortsgruppe u. dem des Winterhilfswerks dahier.
30. Dezember. Sonntag .
Noch immer kein Schnee u. Frost, selten ein gänzlicher Regentag. * Eva arbeitet fast Tag für Tag stundenlang im Garten. Es tut ihr gut, obwohl sie sehr mager geworden ist. Selbst die endlose Zahnarztbehandlung scheint ihr nun erträglich. (Wann wird der Mann sein Geld bekommen?)
Wir haben viel Besuch, meist zum Nachmittagskaffee. * * Wieghardts. – Nach Wiegh endloser Pause * Vater und * Sohn Hirche . Der Junge schon Oberfähnrich, wird im April Leutnant. Ich , es klingt wie ein Märchen, habe ihn zur Reichswehr empfohlen. Ich hatte die Eltern im Verdacht uns aus Angst zu meiden. Aber es scheint eher Scham gewesen. Ich habe dem Mann in seinem Aufstieg u. Glanz gekannt, dann in seinen Plänen der Selbständigkeit. Jetzt hat er einen kleinen zeitweiligen Posten bei irgend einer Devisenstelle u. bekommt brutto 280 M im Monat. – Dann war * Wengler bei uns. – Dann * Kühn u. sein stellungsloser * Schwager Körner. –
Dann tauchte nach einer Pause von sechs Jahren etwa (zuletzt in Heringsdorf!) * Erika Dreyfuss-Ballin auf. Ihr Bruder * Otto Ballin hat sich in Durban verheiratet; sie praesentierte seinen Schwager, einen jungen Chemiker * Dr Koblenz , Lecturer an der Universität Durban, Vater russischer Jude, Mutter deutsche Jüdin, beide von erst nach Canada, dann nach
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