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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Geldsorgen. –
    Ein beglückter Brief von * Walter Jelski aus Basel: sie haben endlich ihr Reisegeld u. fahren nun im Frachtdampfer 22 Tage lang von Rotterdam nach Haifa.
    Obschon ich in letzter Zeit wenig zum Vorlesen kam, ist vieles zu notieren u. kann nur sehr kurz notiert werden.
    1) (Geburtstagsgeschenk von * Annemarie) Gummi von * Madelon Lulofs , femina nova, 1 Holländerin. Erst scheint es nur ausgezeichneter Bericht, dann steigert es sich ins Dichterische. Das Tropenelend auf Sumatra. Die holländischen Angestellten der Gummiplantagen. Entnervendes Klima, ödes Leben, imer das Warten auf Gewinn, auf Rückkehr. Verschwendung des Gewonnenen, Luxus = u. Speculationsfieber, Sitten = u. Nerven[ver]fall. Entwurzelung der Heimgekehrten. Ausgezeichneter realistischer Roman. Eindringlich u. schlicht erzählt.
    2) * Ernest Hemmingway: In einem andern Land ( A farewell to arms mit Motto aus * Marlowe The jew of Malta 2 : Ich habe gehört, der Mensch ist tot – but it was in an other country 3 ) Einer der bedeutendsten Kriegsromane, dem ich begegnet bin. Ein Amerikaner an der zusamenbrechenden italienischen Front, sein Liebesverhältnis mit einer englischen Krankenschwester – sie stirbt bei der Geburt des Kindes. Ihr Tod ist eigentlich unmotiviert, nur Zufall. Von Sünde ist auf Seiten des Erzählers u. Vaters keine Rede. Aber prachtvoll u. ergreifend das Liebesglück u. -Schicksal, prachtvoll die Kriegsgleichgültigkeit, der Zusamenbruch, die Psychose der Italiener. Eigentümlichster Stil. Stark an der fortwährenden Association des * Ullysses 1 orientiert, aber einfacher. Nie ein sentimentales Wort, nie ein pathetisches – u. immer das vibrierende unter Alkohol gesetzte Gewissen. Immer vollkomen einfach u. sachlich, Gefühl, Leidenschaft, Sarkasmus, Not unter den Worten. Wenn ich einmal die Geschichte der amerik. Lit. schreiben könnte, dies rückte ganz in den Vordergrund.
    3) * Sinclair Lewis: Das Kunstwerk . 2 Ein bißchen sehr didaktisch u. breit u. kindlich, aber voller Humor u. ein großes Stück amerikanischer Kulturgeschichte. Das Kunstwerk ist das vollkomene Hôtel. Myron Myron Weagle der sich vom Laufjungen zum großen Hotelier heraufarbeitet, zusamenbricht, wieder rafft. Die verschiedenen Formen u. Entwicklungsphasen des amerik. Hôtelbetriebs in aller Genauigkeit. Dichterisch gut Myron[s] Bruder Ove, der innerlich verkomene, begabte, zuletzt erfolgreiche Literat.
    4) Sinclair Lewis: Der Erwerb. (The Job) 3 Dies ist das erste Buch von S. L., durch das wir nicht durchkamen. Ich legte es etwas beschämt beiseite, mit dem Gefühl, man müsse es wieder vornehmen, wenn es ernsthaft um die Lit.-Gesch gehe. Denn auch hier viel Kulturgeschichte. Das Mädchen aus bürgerlicher Familie, das sich ein selbständiges Leben im Bureau schaffen will. Aber hier fehlt aller Humor, es wird ununterbrochen toternst mit aufgehobenem Zeigefinger moralisiert, doziert, Aufklärung getrieben. Ich denke mir, der Verfasser war sehr jung, als er das schrieb. Aber ich denke auch: wie jung muß eine Literatur sein, in der man noch diesen Ton d il y a cent ans anschlagen kann, während man gleichzeitig schon das Neueste aus London u. Paris teils nachahmt, teils anwendet.
    5) * Franz Karl Ginskey 4 : Prinz Tunora Erschien in den Dresdener NN., ist kein Roman, sondern die Wiedergabe eines Prozesses aus dem Jahre 1804. Ein Student u. falscher Prinz, schuldlos schuldig, psychiatrischer Fall. Sehr interessantes Kulturbild – man war der Aufklärung u. Humanität wesentlich näher als heute, u. man war doch auch noch in einer viel kindlicheren Zeit. Interessant das Moment der Ferne, der Abgeschlossenheit. Auf irgend einer Mittelmeerinsel kann ein Märchenreich liegen – wer erhält Nachricht von so weit her? Und heute ist das interessanteste Moment die Unmöglichkeit der Ferne, der Abgeschlossenheit.
    Jetzt seit länger als einer Woche bei einem modernen * Dickens: * Priestley (The Angel Pavement) 1
     

 
    16. Dezember Sonntag
    Einen Augenblick lang schien es, als werde * H. nicht über die Saarabstimmung 2 (13/I), vielleicht nicht über Weihnachten wegkomen. Jetzt ist die Saaraffaire zugunsten Deutschlands entspannt, u. H. sitzt wieder fest im Sattel. Es ist schwer, nicht zu verzweifeln. Aber die starke allgemeine Gärung ist nach wie vor da.
    Den Parkhügel, durch den ich fast täglich von der Stadt zu uns heraufsteige, nenne ich meinen katholischen Berg. Immer gehe ich ihn langsam, immer mit schwerem Athem öfter mit Schmerzen, nie

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