Klemperer, Viktor

haben Ihren Eid auf Formular zu unterzeichnen. Und: []Ich schließe mit dreifachem Sieg-Heil. Er schrie Sieg – u. der Chor brüllte Heil! u. drängte zu den Formularen. Unter den Schwörenden waren * Janentzky, * Kühn, * Stepun, * Beyer 2 .. das sind so gute NS. wie ich. Acht Tage vorher hatte ich ( * Lettres Provinciales 3 ) über die Reservatio mentalis gesprochen u. die Partei der Jesuiten ergriffen. Als Beispiel notwendigen Falscheides hatte ich den Cavalierseid gegeben. (Ich spreche nicht etwa von politischen Notwendigkeiten. Encyclopaedischer Stil!) Ekelhaft war: Ein Pedell schreit: Seine Magnifizenz der Herr Rektor! Alles steht auf u. stram wie auf dem Kasernenhof. Der Rektor, ein jüngerer Mann, ( * Kirschmer, 4 von der Regierung auf zwei Jahre ernannt) eilt aufs Katheder, reckt den Arm weit aus; alles erhebt die Arme. Sekundenlanges Soverharren, dann, militärisch: []Bitte die Herren, sich zu setzen. Führerprincip – Rührt Euch! –
    In meinem Kolleg (Franz) ein Theologe, eine * Lehrerin, der ich erlaubt habe als mein Gast zu hören, da sie sonst der Kasse 25 M zahlen müßte. Die Namen der beiden hatte ich nicht verstanden. Ich hatte sie mehrfach zusamen gesehen, u. als gestern der Theol. fehlte, fragte ich die Lehrerin, wer der Herr sei: Antwort: der frühere jetzt herausgesetzte Dozent für kathol Theologie * Baum , 1 der jetzt ein Examen in Französ. ablegen wolle. Die Lehrerin sprach recht entsetzt über die neuen Zustände, ich gab mich ziemlich offen u. privat, sie sagte, ob ich müßte meiner Hörer sehr sicher sein, sonst wäre mein Kolleg eine große Unvorsichtigkeit. Dann: Wer ist denn überhaupt unter den Professoren NS? Ich glaube die wenigsten. Mein Bruder gehört der Partei an, seit langem – aber der hat sehr zu kämpfen. Er will also auf diese Weise vorwärtskommen? Sie revozierte ein bißchen verwirrt: so sei es wohl nicht gemeint, sie kenne seine Gesinnung nicht. Ich fragte nach ihrem Namen, ihrem Bruder: * Prof Alt , 2 Meteorologe. Ich war doch etwas bestürzt. Wenn sie dem Bruder weitererzählt ... Aber wie das Geschwister trennt, Familien zerreißt. –
    Gestern dick gedruckt, groß aufgemacht: Wegen Ausnützung der Hamsterpsychose (Sprache d. 3. Reiches!). Ein Hausierer in Leipzig hat Garn für 10 Pf die Rolle gekauft, für 30 im einzelnen abgesetzt. Wegen Preistreiberei u. Verbreitung der Psychose sechs Monate Gefängnis. Heute: * Frau Lehmann, bitte nähen Sie mir ein paar Knöpfe an. – Haben Sie Zwirn? – ? – Es ist in ganz Dresden kein schwarzer u. weißer Zwirn zu haben.[]
    Am Sonntag zum Nachmittagskaffee bei uns: * Trude Öhlmann aus ihrem Sanatorium, Frl. * Mey, * Frl. Roth, die Bibliothekarin. Alle erbittert, alle überzeugt, daß es zu Ende geht, jede weiß von Witzen, Gerüchten u. Rüstungen. Auf dem Heller 3 lernen die Postboten Handgranaten werfen.
     

 
    21 XI Mittwoch .
    Drittes Reich . Das magische Wort. * Bollert, Direktor der Landesbibl., sagte mir einmal: []Ich grüße: ‹Heil!› , das muß ich. ‹Hitler› hinzuzufügen widerstrebt mir. – Auf der Winterhilfsplakette für November steht: Du gibst dem Führer Dein Ja. * Frl. Roth sagte mir: Ich hab es ihm nicht gegeben, ich habe die Plakette so an der Thür befestigt, daß das Ja überklebt ist. * Eva meint, dies sei eine Art Übergang zum Beschwören durch Messerstoß in ein Bild. Das scheint mir eine zu kühne Verbindung.
    – Vom 8–13. war * Walter Jelski hier. * Seine Frau lag krank in Berlin, kam dann nach, die beiden zankten sich am Bahnhof, u. sie erschien erst am Abend verheult u. zerrüttet, lebte hier auf u. blieb noch einen Tag mit ihm zusamen. Sie ist mir sympathischer als er. Ich glaube, sie wird viel leiden müssen. Ich habe zu ihm kein Vertrauen. Ein haltloser Egoist. Ich wurde um 25 M. angepumpt. Wir brauchen höchstens zehn, den Rest schicken wir an der Grenze zurück. Es kam natürlich kein Pfennig. Sie sind jetzt in Basel. Ihr Geld liegt in Jerusalem – ihr Geld ist das Geld der Frau – dort sollen Freunde helfen, bis er aus Palaestina Reisegeld überwiesen bekomt. Er schalt mit Erbitterung auf die Berliner Verwandten, insbesondere auf * Wally. –
     

 
    25. 11. Sonntag .
    Drittes Reich . Gusti Wieghardt sagte neulich etwas von feinen komunistischen Sprechchören. Ich erbrütete am nächsten Tag: Wer singt, gibt sich ehrlich an das Gefühl hin. Wer spricht, drückt Gedanken aus. Gibt es im Kirchlichen Sprechchöre? Nein! Gemeinsame Antwort an das Vorbeten des Geistlichen,