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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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Südafrika ausgewandert. Ein sehr sympathischer Mensch, der jetzt zwei Jahre in Deutschland studiert hat u. nun zurückgeht. Es stellte sich heraus, daß er viel Interesse für mein Fach hat, in München viel bei * Voßler hörte u. in seinen Werken sehr beschlagen ist. – Er sagte, Voßler sei bei den Studenten ziemlich gefürchtet, wenig beliebt. Er sei im letzten Jahr schwer gealtert, u. man habe geglaubt, er werde gehen müssen. –
    Mit all diesen Leuten spricht man Politik. Optimistisch ist nur * Eva, ich bemühe mich, es zu sein. Alle aber haben das Gefühl, daß jetzt, gleich nach der Saarabstimmung, etwas komt. Vielleicht ein Zugriff der Regierung, 30/6 bis da capo (man sagt Reichsmordwoche), vielleicht ein Stoß von rechts oder von links (cioè von SA). Vielleicht werde * H. von der Reichswehr gehalten u. ganz ihr Werkzeug werden. Keiner fühlt sich irgend einer Meinung sicher. Meinungen auszutauschen hat jeder Verlangen, weil aus Zeitungen gar nichts mehr entnomen werden kann. Am widerlichsten ist mir der spezifisch jüdische Pessimismus in seiner angenehmen Gefaßtheit. Ghettogesinnung, neu erwacht. Man tritt uns, das ist nun einmal so. Wenn wir nur unsere Geschäfte machen können und kein Pogrom kommt. Besser Hitler als ein Schlimmerer! Neulich ein Abend bei * Frau Schaps war schlimm in dieser Richtung. Und * * Blumenfelds fühlen sich hier in ihrem Element, denken ebenso. –
    Vor etlichen Wochen schickte mir * Berthold Meyerhof ein Zeitungsblatt: Wir Kriegsfreiwilligen von 1914/15. Frei verkäuflich für 20 Pf. Unter der Maske der rüd komischen Frontsprache des Krieges – wimmelnd von offenen u. halb verhüllten Arschlöchern, Armleuchtern und dergleichen – härteste Satire u. Kritik, durchaus revolutionär. Ganz offen u. ernst der Leitartikel, Brief eines bayrischen * Studienrathes Renn, der sagen müsse wolle, wie sehr ihn die geistige Knebelung kränke, um sich nicht weiter vor seinem Jungen schämen zu müssen. Am nächsten Tage war das Blatt verboten. Nun erzählt * Wengler , er habe diesen Leitartikel u. etliche der derbsten Satiren (Eintopf = Appell u. mitternächtlicher Eheappell!) seinen Obersekundanern im Deutschunterricht vorgelesen! Das sei sein gutes Recht, so lange die Zeitung nicht verboten war. Hätte man ihn denunziert, so hätte er den Dummen gespielt. Auch * Kühn kannte die Zeitung; * Delekat, der sich tapfer im Kampf der protestant. Theologen einsetzt, hatte sie abonniert u. für ein Vierteljahr bezahlt. Sie ist aber schon nach der 3. Nummer – erst nach der 3. Nummer! – eben der mir zugeschickten, verboten worden. – – Auch Kühn sagt: was soll komen, wenn * H. ermordet wird? Es kann sich eben niemand mehr vorstellen, daß ohne Dictatur regiert wird. Und natürlich wäre ja auch eine Dictatur nötig für die Zeit, in der man wieder verfassungsmäßige Regierungsorgane schüfe. Unentwirrbar. Der Glaube an die Dummheit des Volkes greift überall immer weiter um sich. –
    Kühn sagte, einiges Gute hätten die NS fraglos geschaffen. Ich: das Gräßliche an ihnen sei, daß auch das Gute bei ihnen durch Verlogenheit besudelt werde. Dem stimmte er durchaus zu.
    Ich citierte neulich hier ein communistisch hetzerisches Rundschreiben der Dölzschener Organisation gegen die höheren Beamten. Darin wurde nicht nur auf ihren Gänsebraten geschimpft. Sondern auch darauf, daß sie nach ihrem Dienst nicht mehr in die Versamlungen komen wollten, daß sie es vorzögen, Eigenbestrebungen nachzugehen. Man soll eben Masse sein, alles Eigene ist Volksverrat.
    Von meinen zwei Hörerinnen im * Dante, erzählt die eine, bildungsbeflissene Private, ein * Frl. Hildebrand: * Mein Bruder bei der S.S. .. – Was hat Ihr Herr Bruder für einen Beruf? – Noch gar keinen, er ist Sekundaner im Vitztum. 1 – Und wieso S.S.? – []Irgendwo muß er sein, bei der H.J. ist Krethi u. Plethi, so in seinem [‹]Reitersturm[›] hat er ein eigenes Pferd u. lernt reiten – Ist er mit dem Herzen dabei? – Ach wo .. aber er muß doch. Sie haben jetzt ein Verbot bekomen zu mehreren in die Kirche zu gehen. Höchstens einzeln, wenn sie durchaus wollen.[]

    – Wie gräulich u ungeschickt neulich: Ein D-Zug hat bei Verden einen Autobus überfahren, 13 Tote. (Ein – keine genaue Angabe.) Dann als plumpes Nachtelegram: Wie wir erfahren war, von Bremerhaven komend, der * Führer im Zuge. Und an den nächsten Tagen im Zusamenhang mit diesem Unglück u. nachfolgendem Ehrenbegräbnis kein Wort vom Führer. Der Hergang

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