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Klingenfieber: Roman (German Edition)

Klingenfieber: Roman (German Edition)

Titel: Klingenfieber: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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friedlichen und vorzeigbaren Familienlebens nicht zu gefährden. Stenrei hatte nie begriffen, was daran so wichtig sein sollte, dass man dem sein ganzes Dasein unterwarf. Gab es denn nicht da draußen eine Welt, die sich danach sehnte, durchstreift und erlebt zu werden? Sicherlich war seine Mutter einmal hübsch gewesen. Aber jetzt welkte sie nur noch vor sich hin, ging an den Hüften aus dem Leim und bereitete ihrem kläglichen Zimmerkönig eine zusammengestoppelte Behaglichkeit, damit dieser sich weiterhin als Herr fühlen konnte. Was für eine Hofnarrennummer!
    Wortlos ging Stenrei auf sein Zimmer und warf sich aufs Bett.
    Das Funkeln des Flusses verfolgte ihn.
    Der Hintern der Fremden, nackt im Fluss, von Leder überspannt beim Weggehen.
    Sie war so begehrenswert, so gefährlich und so unnahbar. Sie zog durchs Land und tötete. Tötete die Stärksten, ohne dabei Gewinn zu machen. Dabei hätte sie mit ihrem Aussehen als Tänzerin in der Hochstadt oder selbst einer der Niederstädte viele Münzen verdienen können.
    Klingentänzerin .
    In seinen Träumen tanzte sie mit ihm.
    Am nächsten Morgen packte er ein paar Sachen, sämtliche Münzen, die er angespart hatte, und etwas zu essen in einen Tuchbeutel und verließ sein Elternhaus.
    Er wollte sich nicht einmal verabschieden. Er wollte nicht miterleben, wie sein Vater, dieser Popanz, wieder schneidend wurde und Befehle zu erteilen versuchte. Er wollte nicht miterleben, wie die Augen seiner Mutter wässrig wurden, weil sie ihren Traum vom bescheidenen Familienglück zerplatzen spürte. Er wollte einfach nur weg. Vielleicht würde er ja eines Tages wiederkommen, um seinen Eltern die Beute seiner Abenteuer auf den Tisch der Guten Stube zu schütten. Einfach nur, um ihnen zu beweisen, dass die Welt erst jenseits der Grenzen von Bosel ihren Anfang nahm.
    Er dachte darüber nach, in die Wälder zu gehen, wie er sich das immer ausgemalt hatte. Jetzt, wo der Frieden mit den Grünmännern mehr und mehr ins Wanken geriet, konnte er sich unter Umständen tatsächlich bei einer dort neu stationierten Truppe als Ortskundiger verdingen. Aber wollte er sich gleich in einen Krieg hineinziehen lassen? Einen Krieg, dessen Sinn er nicht verstand? Denn schon mehrmals während seiner Wanderungen in den Wäldern war er den Grünbemalten begegnet, und sie hatten ihn stets in Ruhe gelassen. Wenn sie jetzt aufsässig wurden, dann wahrscheinlich deshalb, weil man ihnen immer größere Teile der Wälder und mithilfe wandernder Heiliger auch ihren Glauben raubte, und weil sie das nicht mehr länger hinnehmen wollten, so wie Stenrei sein Leben in Bosel nicht mehr hinnehmen wollte.
    Nein. Er ging beinahe, ohne darüber nachzudenken, in dieselbe Richtung, in die die Klingentänzerin verschwunden war. Er war einfach neugierig. Sie faszinierte ihn mehr als jeder andere Mensch, der ihm in den letzten Jahren begegnet war. Womöglich hieß ihrer Fährte zu folgen ebenfalls, sich in einen Krieg hineinziehen zu lassen. Aber es war ein überschaubarer Krieg. Der Krieg einer einzelnen Frau gegen die Dörfer. Und Stenrei wollte zu gerne wissen, was das alles eigentlich zu bedeuten hatte.
    Während er die Hauptstraße von Bosel hinunterging, trafen ihn argwöhnische Blicke. Die Leute trugen ihm seine ungeklärte Rolle bei Kaskirs Ende nach. Wenn er nun der Fremden folgte, würden sie sich wahrscheinlich die Mäuler darüber zerreißen, ob er zu ihr gegangen war, weil er von Anfang an mit ihr unter einer Decke gesteckt hatte. Das Argument, dass sie keinen Gewinn gemacht hatte, den sie mit irgendeinem Verbündeten hätte teilen können, würde dabei natürlich unter den Tisch fallen. Hauptsache, man hatte einen Sündenbock gefunden.
    Wie er die Dörfler verachtete! Ihr Ducken und Tratschen. Ihr schlechtgewissiges Zwinkern und humpeliges Herbeieilen, sobald ein Offizieller oder Uniformierter sich blicken ließ. Kriecherische Unterwürfigkeit. Zu Hause jedoch, den eigenen Kindern gegenüber: Verbote und Getue, als wäre man selbst ein Offizieller. Als hätte man Macht, nur weil man körperlich größer war. Das war auch Kaskirs Lebensmotto gewesen. Und das hatte ihn in ein frühes und klägliches Ende geführt.
    Wie er das Dorf an sich verachtete! Jedes einzelne Haus sah aus, als hätte sein Vater es errichtet. Wie also sollte auch nur eines von ihnen etwas Herausragendes beherbergen können?
    Der Moment, als er die Umrisse Bosels hinter sich ließ, hatte etwas Bedeutsames.
    Er war schon oft außerhalb der

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