Klingenfieber: Roman (German Edition)
herum wie junge Hunde.
Stenreis mulmiges Gefühl in der Magengegend wurde immer drängender. Klingentänzerin? Blut in Ornamenten? Geister der Getöteten? Er konnte Kaskir nicht ausstehen. Er konnte Bosel nicht ausstehen. Aber wollte er denn wirklich, dass Kaskir auf dem Hauptplatz hingeschlachtet wurde, damit sein Blut zur Melodie wurde? Was ging hier vor sich? War er verantwortlich? Hatte er nicht die Klingentänzerin hierher geführt? Zweifelsohne. Aber was war mit den Boselern los? Warum schlossen sie sich nicht gegen sie zusammen wie früher gegen die Waldmenschen und scheuchten sie fort? Warum stemmten sie sich der Gefahr nicht entgegen? Vom Glanz der einhundert vernähten Münzen eingelullt, umstanden sie die untätig Sitzende und unternahmen nichts, außer zeternd und zischelnd dem Unheil beizuwohnen.
Stenrei hatte das Gefühl, sie wachrütteln zu müssen.
Aber genau das war das Problem.
Das war schon immer das Problem mit Bosel gewesen: Niemand hier hatte Vorstellungen. Niemand ließ sich aufrütteln. Wenn die Waldmenschen kamen, ja – denn davon gab es Überlieferungen. Dann griff man zum Hackbeil und zur Egge und formierte sich mit anderen Dörfern zur Wehr, denn das hatte man hierzulande schon immer so gemacht. Aber wenn eine Frau ins Dorf kam und den Stärksten zum Sterben aufforderte? Dann stand man herum und gaffte und bohrte in der Nase und hielt Maulaffen feil und keifte »Versucherin«, aber die Versucherin hatte bereits gewonnen, bereits in Versuchung geführt, ein Spektakel anzuschauen und nicht das Geringste dagegen zu unternehmen.
Stenrei spürte dieses Boselhafte auch in sich. Angesichts der Überzahl von bald sechs Dutzend Schauwilligen kam ihm ein Entgegenstellen vergeblich vor. Es waren einfach zu viele. Sie würden nicht mehr auf ihn hören. Fünf oder sechs vielleicht, aber nicht sechs Dutzend Ältere und vermeintlich so viel Erfahrenere als er.
Mit hängenden Schultern schaute er zu, wie das Verhängnis, an dem er alles andere als unschuldig war, seinen Lauf nahm. Und fühlte sich dabei in seiner Tatenlosigkeit auf niederschmetternde Weise als echter Sohn dieses Dorfes.
Die Schwertfrau schlug die Augen auf, als sie Kaskirs glucksende Stimme hörte. Sie sah ihn und erhob sich. Dann zog sie das untere Ende ihres Wildlederhemdes hoch und verknotete es neu, dicht unter ihrem Busen. Die Menge machte ein Geräusch wie ein übergroßer Blasebalg. Männer atmeten ein, Frauen aus. Dann zog die Frau das Schwert aus dem Boden. Jede ihrer Bewegungen wirkte gelassen und geschmeidig. Die roten Muster auf der Klinge glommen im Sonnenlicht wie Glut.
Kaskir trat bis auf zehn Schritt an sie heran. »Wo tun wir’s, meine Schöne? Gleich hier?«
»Gleich hier. Denn du willst doch gesehen werden dabei, von deinesgleichen, oder etwa nicht?« Sie lächelte jetzt. Seitdem sie das Wort »Männerverderberin« gehört hatte, war dieses leichte Lächeln nicht mehr aus ihrem Gesicht gewichen.
Kaskir sah kurz ein wenig verunsichert aus, aber sein Freundeskreis drängte ihn vorwärts.
Eigentümlich, dachte Stenrei. Der Herumschubser wird jetzt geschubst. Ein Ablauf der Dinge hatte ihn erfasst, dem sich jetzt niemand mehr entgegenstemmen konnte.
Die Schaulustigen – acht Dutzend nun, an die hundert Boseler, und noch immer liefen welche von hinten hinzu oder waren welche unterwegs, um andere heranzuholen – machten den Hauptplatz so frei wie möglich, indem sie sich an die Hauswände zurückzogen. Nur der Rucksack mit dem Münzsäckel und die beiden Kämpfer blieben mitten auf dem Platz zurück.
Auf den Gesichtern der Boseler zeigte sich vor allem Verbissenheit. Stenrei überraschte dieser vorherrschende Gesichtsausdruck. Er hatte eher reine Schaulust, also Schadenfreude und Anfeuerung erwartet. Aber dann begriff er: Es ging um Bosels Ehre. Die Frau hatte das ganze Dorf herausgefordert, hatte damit gedroht, es in anderen Dörfern zu verspotten. Das musste verhindert werden, und Kaskir war der Mann, es zu verhindern. Die Dörfler gaben viel darauf, was über sie geredet wurde. Auch untereinander.
Stenrei fragte sich, was passieren würde, wenn Kaskir unterlag. Und er würde doch unterliegen, oder? Wenn Dinklepp sich nicht irrte? Was würden die Boseler dann machen? Konnten sie die Siegerin dann einfach ziehen lassen, im Vertrauen darauf, dass sie wenigstens nicht erzählen konnte, dass sich ihr in Bosel niemand gestellt hatte? Oder würden sie versuchen sich zusammenzuschließen? Mit Steinen werfen,
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