Klingenfieber: Roman (German Edition)
sie?« »Woher stammt sie?« »Sag, kann sie Kaskir wirklich besiegen? Kann eine Frau unseren Stärksten besiegen?«
Eigentlich war sich Stenrei ziemlich sicher, dass sie es konnte. Woher er diese Einschätzung nahm, wusste er selbst nicht so genau. Vielleicht war es das Selbstbewusstsein, das aus jeder ihrer Bewegungen sprach. Vielleicht aber auch einfach die Tatsache, dass auch er Kaskir nie halb so viel zugetraut hatte wie dieser sich selbst. Ein zorniger Herumschubser war er, dem man lieber aus dem Weg ging, aber ein echter Kämpfer vom Schlage eines Llender Dinklepp war er doch wohl kaum.
Es war eigenartig: Kaum hatte er an den ehemaligen Söldner gedacht, an den einzigen Boseler unter vierzig, der jemals wirklich an Gefechten teilgenommen hatte, als er ihn sah. Dinklepp stützte sich, kränklich aussehend, auf seine jüngere Schwester und näherte sich dem Hauptplatz. Jemand, vielleicht ebenjene Schwester, musste zu ihm gelaufen sein und ihm die Kunde von der Fremden gebracht haben.
Llender Dinklepp war kaum Mitte dreißig, aber die Keuchatemkrankheit hatte ihn ausgehöhlt, sodass er wie Mitte vierzig aussah. Sein Atem klang schleifend und mühsam. Sein langes Haar hatte schweißnasse Spitzen.
Stenrei machte sich frei von den ihn Umringenden und rannte zu Dinklepp hinüber. Er hatte schon immer viel übrig gehabt für den wenig prahlerischen, ausgemergelten Mann.
»Sie sitzt in der Mitte auf dem Boden«, erläuterte er, als er sah, dass Dinklepp den Hals reckte, weil er vor lauter Schaulustigen – es waren inzwischen gut fünf Dutzend – nichts zu sehen bekam.
»Ein Schwert mit roten Zeichen?«, knarzte dieser.
»Ja. Es steckt vor ihr im Boden. Seht selbst.«
Dinklepp stützte sich jetzt auf ihn und seine Schwester zugleich. Stenrei gewann dadurch wieder an Selbstvertrauen. Er hatte die Fremde hierhergebracht. Aber er stützte auch Dinklepp. Er brachte also nicht nur Unruhe und möglicherweise Blut über das Dorf.
Dinklepp ächzte, als er die Frau und ihr Schwert sehen konnte. » Klingentänzerin «, schnaufte er. »Ich dachte, es gibt gar keine mehr.«
»Klingentänzerin?«
»Ich habe mal eine solche Klinge gesehen, mit Blutstaben . Man sagte, sie dürfe nur von einer Frau getragen werden, die eine ganz bestimmte Schule durchlaufen hat.«
»Die Schule des Schwertes? Oder blutrote Fahne?«
Dinklepp runzelte die Stirn. »Nein, sie hatte einen Namen. Den Namen eines Mannes. Ich habe ihn vergessen. Ich habe vieles vergessen. Aber man sagte mir, die Schule gebe es nicht mehr. Sie sei bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Zwei oder drei der Schwerter soll es noch geben. Aber wie könnte sie wagen, eins zu führen, wenn sie nicht aus dieser Schule stammt?«
»Und das andere Schwert, das Ihr gesehen habt? Wer führte es?«
»Niemand. Niemand. Es gehörte zu einer Sammlung. In der Hochstadt. Der Sammlung eines reichen Mannes.« Er versank in Erinnerungen.
Nein, dachte Stenrei, Dinklepp hätte sich nicht mehr messen können mit dieser Schwertfrau, aber vor seiner heimtückischen Krankheit hätte er es sicherlich gekonnt. Llender Dinklepp war die einzige Ahnung von Größe in ganz Bosel.
Klingentänzerin . Diese fünf Silben dröhnten in ihm wie eine Tempelglocke.
Musste man Kaskir warnen? Ihm mitteilen, dass er hoffnungslos unterlegen war? Aber mit Kaskir konnte man nicht reden. Er würde lachen und höhnen und einen beiseiteschubsen, wie immer.
Vielleicht ist es besser so , dachte Stenrei, und er erschrak über diesen Gedanken. Er war zu feige dazwischenzugehen, das ja, aber er gönnte es Kaskir auch, einen furchtbaren Denkzettel zu erhalten. Und wenn Kaskir getötet wurde? Dann hatte Kaskir sich das schließlich selbst so ausgesucht, oder?
»Und diese Zeichen auf dem Schwert?«, fragte er Dinklepp. »Sind das wirklich die Namen der Opfer?«
»Nein. Blutstaben sind keine Schrift. Das sind eher … Blutbahnen.«
»Blutbahnen?«
»Ja. Damit das Blut in Ornamenten läuft. Auf diese Weise sollen, wenn ich mich recht erinnere, die aufgebrachten Geister der Getöteten besänftigt, geradezu eingelullt werden. Wie mit einer Melodie. Aber ich bin mir nicht mehr sicher. Ich habe so vieles vergessen.« Dinklepps Stimme versandete. Seine Schwester mahnte ihn, nicht so viel zu sprechen und mehr zu atmen.
Jetzt kehrte Kaskir zurück. Er trug sein Breitschwert grinsend über der Schulter und ging breitbeinig wie ein sehr großer Held. Sein Gefolge aus sechs, sieben Freunden tollte bewundernd um ihn
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