Klingsors letzter Sommer
weiter getrieben und
immer mit zehn Leben gelebt. Und wenn
auch nie die Sättigung, niemals die volle
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brausende Symphonie zu erreichen war –
einstimmig und arm war sein Lied doch
nicht gewesen, immer doch hatte er ein
paar Saiten mehr auf seinem Spiel gehabt
als andere, ein paar Eisen mehr im Feuer,
ein paar Taler mehr im Sack, ein paar Rosse
mehr am Wagen! Gott sei Dank!
Wie klang die dunkle Gartenstille voll und
durchpulst herein, wie Atem einer schla-
fenden Frau! Wie schrie der Pfau! Wie
brannte das Feuer in der Brust, wie schlug
das Herz und schrie und litt und jubelte
und blutete. Es war doch ein guter Som-
mer hier oben in Castagnetta, herrlich
wohnte er in seiner alten noblen Ruine,
herrlich blickte er auf die raupigen Rücken
der hundert Kastanienwälder hinab, schön
war es, je und je aus dieser edlen alten
Wald- und Schloßwelt gierig hinabzustei-
gen und das farbige frohe Spielzeug drun-
ten anzuschauen und in seiner guten frohen
Grellheit zu malen: die Fabrik, die Eisen-
bahn, den blauen Tramwagen, die Plakat-
säule am Kai, die stolzierenden Pfauen,
Weiber, Priester, Automobile. Und wie
schön und peinigend und unbegreiflich
war dies Gefühl in seiner Brust, diese Liebe
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und flackernde Gier nach jedem bunten
Band und Fetzen des Lebens, dieser süße
wilde Zwang zu schauen und zu gestalten,
und doch zugleich heimlich, unter dünnen
Decken, das innige Wissen von der Kind-
lichkeit und Vergeblichkeit all seines Tuns!
Fiebernd schmolz die kurze Sommernacht
hinweg, Dampf stieg aus der grünen Tal-
tiefe, in hunderttausend Bäumen kochte der
Saft, hunderttausend Träume quollen in
Klingsors leichtem Schlummer auf, seine
Seele schritt durch den Spiegelsaal seines
Lebens, wo alle Bilder vervielfacht und je-
desmal mit neuem Gesicht und neuer Be-
deutung sich begegneten und neue Verbin-
dungen eingingen, als würde ein Sternhim-
mel im Würfelbecher durcheinanderge-
schüttelt.
Ein Traumbild unter den vielen entzückte
und erschütterte ihn: Er lag in einem
Walde und hatte ein Weib mit rotem Haar
auf seinem Schoß, und eine Schwarze lag
an seiner Schulter, und eine andere kniete
neben ihm, hielt seine Hand und küßte
seine Finger, und überall und rundum wa-
ren Frauen und Mädchen, manche noch
Kinder, mit dünnen hohen Beinen, manche
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in voller Blüte, manche reif und mit den
Zeichen des Wissens und der Ermüdung in
den zuckenden Gesichtern, und alle liebten
ihn, und alle wollten von ihm geliebt sein.
Da brach Krieg und Flamme zwischen den
Weibern aus, da griff die Rote mit rasender
Hand in das Haar der Schwarzen und riß
sie daran zu Boden und ward selber hinab-
gerissen, und alle stürzten sich aufeinander,
jede schrie, jede riß, jede biß, jede tat weh,
jede litt Weh, Gelächter, Wutschrei und
Schmerzgeheul klang ineinander ver-
wickelt und verknotet, Blut floß überall,
Krallen schlugen blutig in feistes Fleisch.
Mit einem Gefühl von Wehmut und Be-
klemmung erwachte Klingsor für Minu-
ten, weit offen starrten seine Augen nach
dem lichten Loch in der Wand. Noch stan-
den die Gesichter der rasenden Weiber vor
seinem Blick, und viele von ihnen kannte
und nannte er mit Namen: Nina, Hermine,
Elisabeth, Gina, Edith, Berta und sagte mit
heiserer Stimme noch aus dem Traum her-
aus: »Kinder, hört auf! Ihr lügt ja, ihr lügt
mich ja an; nicht euch müsset ihr zerreißen,
sondern mich, mich!«
Louis
Louis der Grausame war vom Himmel
gefallen, plötzlich war er da, Klingsors
alter Freund, der Reisende, der Unbere-
chenbare, der in der Eisenbahn wohnte
und dessen Atelier sein Rucksack war. Gu-
te Stunden tropften vom Himmel dieser Ta-
ge, gute Winde wehten. Sie malten gemein-
sam, auf dem Ölberg und in Cartago.
»Ob diese ganze Malerei eigentlich einen
Wert hat?« sagte Louis auf dem Ölberg,
nackt im Grase liegend, den Rücken rot
von der Sonne. »Man malt doch bloß faute
de mieux, mein Lieber. Hättest du immer
das Mädchen auf dem Schoß, das dir ge-
rade gefällt, und die Suppe im Teller, nach
der heute dein Sinn steht, du würdest dich
nicht mit dem wahnsinnigen Kinderspiel
plagen. Die Natur hat zehntausend Farben,
und wir haben uns in den Kopf gesetzt, die
Skala auf zwanzig zu reduzieren. Das ist die
Malerei. Zufrieden ist man nie, und muß
noch die Kritiker ernähren helfen. Hinge-
gen eine gute Marseiller Fischsuppe, caro
mio, und ein kleiner lauer Burgunder dazu,
und nachher ein
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