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Klingsors letzter Sommer

Klingsors letzter Sommer

Titel: Klingsors letzter Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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gehört. Ein Wind geht heut, der
    ist ein Märchenwind, das himmlische
    Kind, der weckt die schlafenden Prinzessi-
    nen auf und schüttelt den Verstand aus den
    Köpfen. Heut blüht eine Blume, die ist eine
    Märchenblume, die ist blau und blüht nur
    einmal im Leben, und wer sie pflückt, der
    hat die Seligkeit.«
    »Meint er etwas damit?« fragte Ersilia den
    Doktor.
    Klingsor hörte es.
    »Ich meine damit: dieser Tag kommt nie-
    mals wieder, und wer ihn nicht ißt und
    trinkt und schmeckt und riecht, dem wird
    er in aller Ewigkeit kein zweites Mal ange-
    boten. Niemals wird die Sonne so scheinen
    wie heut, sie hat eine Konstellation am
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    Himmel, eine Verbindung mit Jupiter, mit
    mir, mit Agosto und Ersilia und uns allen,
    die kommt nie, niemals wieder, nicht in
    tausend Jahren. Darum möchte ich jetzt,
    weil das Glück bringt, ein wenig an Ihrer
    linken Seite gehen und Ihren smaragdenen
    Sonnenschirm tragen, in seinem Licht wird
    mein Schädel aussehen wie ein Opal. Sie
    aber müssen auch mittun und müssen ein
    Lied singen, eines von Ihren schönsten.«
    Er nahm Ersilias Arm, sein scharfes Ge-
    sicht tauchte weich in den blaugrünen
    Schatten des Schirmes, in den er verliebt
    war und dessen grellsüße Farbe ihn ent-
    zückte.
    Ersilia fing an zu singen:
    »II mio papa non vuole,
    Ch᾽io spos᾽ un bersaglier –«
    Stimmen schlossen sich an, man schritt sin-
    gend bis zum Walde und in den Wald hin-
    ein, bis die Steigung zu groß wurde, der
    Weg führte wie eine Leiter steil bergan
    durch die Farnkräuter den großen Berg
    empor.
    »Wie wundervoll gradlinig ist dieses Lied!«
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    lobte Klingsor. »Der Papa ist gegen die
    Liebenden, wie er es immer ist. Sie nehmen
    ein Messer, das gut schneidet, und machen
    den Papa tot. Weg ist er. Sie machen es in
    der Nacht, niemand sieht sie als der Mond,
    der verrät sie nicht, und die Sterne, die sind
    stumm, und der liebe Gott, der wird ihnen
    schon verzeihen. Wie schön und aufrichtig
    ist das! Ein heutiger Dichter würde dafür
    gesteinigt werden.«
    Man klomm im durchsonnten spielenden
    Kastanienschatten den engen Bergweg
    hinan. Wenn Klingsor aufblickte, sah er
    vor seinem Gesicht die dünnen Waden der
    Malerin rosig aus durchsichtigen Strümp-
    fen scheinen. Sah er zurück, so wölbte sich
    über dem schwarzen Negerkopf Ersilias
    der Türkis des Sonnenschirmes. Darunter
    war sie violett in Seide, die einzige Dunkle
    unter allen Figuren.
    Bei einem Bauernhaus, blau und orange,
    lagen gefallene grüne Sommeräpfel in der
    Wiese, kühl und sauer, von denen probier-
    ten sie. Die Malerin erzählte schwärmend
    von einem Ausflug auf der Seine, in Paris,
    einst, vor dem Kriege. Ja, Paris, und das
    selige Damals!
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    »Das kommt nicht wieder. Nie mehr.«
    »Es soll auch nicht«, rief der Maler heftig
    und schüttelte grimmig den scharfen Sper-
    berkopf. »Nichts soll wiederkommen!
    Wozu denn? Was sind das für Kinderwün-
    sche! Der Krieg hat alles, was vorher war,
    zu einem Paradies umgemalt, auch das
    Dümmste, auch das Entbehrlichste. Gut
    so, es war schön in Paris und schön in Rom
    und schön in Arles. Aber ist es heut und
    hier weniger schön? Das Paradies ist nicht
    Paris und nicht die Friedenszeit, das Para-
    dies ist hier, da oben liegt es auf dem Berg,
    und in einer Stunde sind wir mitten drin
    und sind die Schacher, zu denen gesagt
    wird: Heut wirst du mit mir im Paradiese
    sein.«
    Sie brachen aus dem durchsprenkelten
    Schatten des Waldpfades auf die offene
    breite Fahrstraße hinaus, die führte licht
    und heiß in großen Spiralen zur Höhe.
    Klingsor, die Augen mit der dunkelgrünen
    Brille geschützt, ging als letzter und blieb
    oft zurück, um die Figuren sich bewegen
    und ihre farbigen Konstellationen zu se-
    hen. Er hatte nichts zum Arbeiten mitge-
    nommen, absichtlich, nicht einmal das
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    kleine Notizbuch, und stand doch hundert-
    mal still, bewegt von Bildern. Einsam
    stand seine hagere Gestalt, weiß auf der
    rötlichen Straße, am Rand des Akazienge-
    hölzes. Sommer hauchte heiß über den
    Berg, Licht floß senkrecht herab, Farbe
    dampfte hundertfaltig aus der Tiefe herauf.
    Über die nächsten Berge, die grün und rot
    mit weißen Dörfern aufklangen, schauten
    bläuliche Bergzüge, und lichter und blauer
    dahinter neue und neue Züge und ganz
    fern und unwirklich die kristallnen Spitzen
    von Schneebergen. Über dem Wald von
    Akazien und Kastanien trat freier und
    mächtiger der Felsrücken und höckrige
    Gipfel des Salute hervor, rötlich

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