Klingsors letzter Sommer
war Oper, war froher
Unsinn.
Louis, der Vogel, schwebte auf seinem
Fahrrad durch die Hügelgegend, war da
und dort, während Klingsor malte. Man-
che Tage opferte Klingsor, dann saß er
wieder verbissen draußen und arbeitete.
Louis wollte nicht arbeiten. Louis war
plötzlich abgereist, samt der Freundin,
schrieb eine Karte aus weiter Ferne. Plötz-
lich war er wieder da, als Klingsor ihn
schon verlorengegeben hatte, stand im
Strohhut und offnen Hemde vor der Tür,
als wäre er nie weggewesen. Noch einmal
sog Klingsor aus dem süßesten Becher sei-
ner Jugendzeit den Trank der Freund-
schaft. Viele Freunde hatte er, viele liebten
ihn, vielen hatte er gegeben, vielen sein
rasches Herz geöffnet, aber nur zwei von
den Freunden hörten auch in diesem Som-
mer noch den alten Herzensruf von seinen
Lippen: Louis der Maler und der Dichter
Hermann, genannt Thu Fu.
An manchen Tagen saß Louis im Feld auf
seinem Malstuhl, im Birnbaumschatten, im
Pflaumenbaumschatten, und malte nicht.
Er saß und dachte und hielt Papier auf das
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Malbrett geheftet und schrieb, schrieb viel,
schrieb viele Briefe. Sind Menschen glück-
lich, die so viele Briefe schreiben? Er
schrieb angestrengt, Louis, der Sorglose,
sein Blick hing eine Stunde lang peinlich
am Papier. Viel Verschwiegenes trieb ihn
um. Klingsor liebte ihn dafür.
Anders tat Klingsor. Er konnte nicht
schweigen. Er konnte sein Herz nicht ver-
bergen. Von den heimlichen Leiden seines
Lebens, von denen wenige wußten, ließ er
doch die Nächsten wissen. Oft litt er an
Angst, an Schwermut, oft lag er im Schacht
der Finsternis gefangen, Schatten aus sei-
nem frühern Leben fielen zuzeiten über-
groß in seine Tage und machten sie
schwarz. Dann tat es ihm wohl, Luigis Ge-
sicht zu sehen. Dann klagte er ihm zuwei-
len.
Louis aber sah diese Schwächen nicht
gerne. Sie quälten ihn, sie forderten Mit-
leid. Klingsor gewöhnte sich daran, dem
Freund sein Herz zu zeigen, und begriff zu
spät, daß er ihn damit verliere.
Wieder begann Louis von Abreise zu spre-
chen. Klingsor wußte, nun würde er ihn
noch für Tage halten können, für drei, für
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fünf; plötzlich aber würde er ihm den ge-
packten Koffer zeigen und abreisen, um
lange Zeit nicht wieder zu kommen. Wie
war das Leben kurz, wie unwiederbring-
lich war alles! Den einzigen seiner Freunde,
der seine Kunst ganz verstand, dessen ei-
gene Kunst der seinen nah und ebenbürtig
war, diesen einzigen hatte er nun er-
schreckt und belästigt, ihn verstimmt und
abgekühlt, bloß aus dummer Schwäche
und Bequemlichkeit, bloß aus dem kindli-
chen und unanständigen Bedürfnis, einem
Freund gegenüber sich keine Mühe geben
zu müssen, keine Geheimnisse vor ihm zu
hüten, keine Haltung vor ihm zu bewah-
ren. Wie dumm, wie knabenhaft war das
gewesen! So strafte sich Klingsor, zu spät.
Den letzten Tag wanderten sie zusammen
durch die goldenen Täler, Louis war sehr
guter Laune, Abreise war Lebenslust für
sein Vogelherz. Klingsor machte mit, sie
hatten wieder den alten, leichten, spielen-
den und spöttischen Ton gefunden, und
ließen ihn nicht mehr los. Abends saßen sie
im Garten des Wirtshauses. Fische ließen
sie sich backen, Reis mit Pilzen kochen und
gossen Maraschino über Pfirsiche.
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»Wohin reisest du morgen?« fragte Kling-
sor.
»Ich weiß nicht.«
»Fährst du zu der schönen Frau?«
»Ja. Vielleicht. Wer kann das wissen? Frage
nicht soviel. Wir wollen jetzt, zum Schluß,
noch einen guten Weißwein trinken. Ich
bin für Neuenburger.«
Sie tranken; plötzlich rief Louis: »Es ist
schon gut, daß ich abreise, alter Seehund.
Manchmal, wenn ich so neben dir sitze,
zum Beispiel jetzt, fällt mir plötzlich etwas
Dummes ein. Es fällt mir ein, daß jetzt da
die zwei Maler sitzen, die unser gutes Va-
terland hat, und dann habe ich ein scheuß-
liches Gefühl in den Knien, wie wenn wir
beide aus Bronze wären und Hand in Hand
auf einem Denkmal stehen müßten, weißt
du, so wie der Goethe und der Schiller. Die
können schließlich auch nichts dafür, daß
sie ewig dastehen und einander an der
Bronzehand halten müssen und daß sie uns
allmählich so fatal und verhaßt geworden
sind. Vielleicht waren sie ganz feine Kerle
und reizende Burschen, vom Schiller habe
ich früher einmal ein Stück gelesen, das
war direkt hübsch. Und doch ist jetzt das
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aus ihm geworden, daß er ein berühmtes
Vieh ist, und neben seinem
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