Klingsors letzter Sommer
siamesischen
Zwilling stehen muß, Gipskopf neben
Gipskopf, und daß man ihre gesammelten
Werke herumstehen sieht und sie in den
Schulen erklärt. Es ist schauderhaft. Denke
dir, ein Professor in hundert Jahren, wie er
den Gymnasiasten predigt: Klingsor, ge-
boren 877, und sein Zeitgenosse Louis,
genannt der Vielfraß, Erneuerer der Male-
rei, Befreiung vom Naturalismus der
Farbe, bei näherer Betrachtung zerfällt dies
Künstlerpaar in drei deutlich unterscheid-
bare Perioden! Lieber komme ich noch
heut unter eine Lokomotive.«
»Gescheiter wäre es, es kämen die Profes-
soren darunter.«
»So große Lokomotiven gibt es nicht. Du
weißt, wie kleinlich unsre Technik ist.«
Schon kamen Sterne herauf. Plötzlich stieß
Louis sein Glas an das des Freundes.
»So, wir wollen anstoßen und austrinken.
Dann setze ich mich auf mein Rad und
adieu. Nur keinen langen Abschied! Der
Wirt ist bezahlt. Prosit, Klingsor!«
Sie stießen an, sie tranken aus, im Garten
stieg Louis aufs Zweirad, schwang den
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Hut, war fort. Nacht, Sterne. Louis war in
China. Louis war eine Legende.
Klingsor lächelte traurig. Wie liebte er die-
sen Zugvogel! Lange stand er im Kies des
Wirtsgartens, sah die leere Straße hinab.
Der Kareno-Tag
Zusammen mit den Freunden aus
Barengo und mit Agosto und Ersilia
unternahm Klingsor die Fußreise nach
Kareno. Sie sanken in der Morgenstunde,
zwischen den stark duftenden Spiräen und
umzittert von den noch betauten Spinnge-
weben der Waldränder, durch den steilen
warmen Wald hinab in das Tal von Pam-
pambio, wo vom Sommertag betäubt an
der gelben Straße grelle gelbe Häuser
schliefen, vornübergeneigt und halbtot,
und am versiegten Bach die weißen metal-
lenen Weiden hingen mit schweren Flügeln
über den goldenen Wiesen. Farbig
schwamm die Karawane der Freunde auf
der rosigen Straße durch das dampfende
Talgrün: die Männer weiß und gelb in Lei-
nen und Seide, die Frauen weiß und rosa,
der herrliche veronesergrüne Sonnen-
schirm Ersilias funkelte wie ein Kleinod im
Zauberring.
Melancholisch klagte der Doktor mit der
menschenfreundlichen Stimme: »Es ist ein
Jammer, Klingsor, Ihre wunderbaren
Aquarelle werden in zehn Jahren alle weiß
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sein; diese Farben, die Sie bevorzugen, hal-
ten alle nicht.«
Klingsor: »Ja, und was noch schlimmer ist:
Ihre schönen braunen Haare, Doktor, wer-
den in zehn Jahren alle grau sein, und eine
kleine Weile später liegen unsere hübschen
frohen Knochen irgendwo in einem Loch
in der Erde, leider auch Ihre so schönen
und gesunden Knochen, Ersilia. Kinder,
wir wollen nicht so spät im Leben noch
anfangen, vernünftig zu werden. Her-
mann, wie spricht Li Tai Pe?«
Hermann der Dichter blieb stehen und
sprach:
»Das Leben vergeht wie ein Blitzstrahl,
Dessen Glanz kaum so lange währt, daß
man ihn sehen kann.
Wenn die Erde und der Himmel ewig
unbeweglich stehen,
Wie rasch fliegt die wechselnde Zeit über
das Antlitz der Menschen.
O du, der du beim vollen Becher sitzest
und nicht trinkst,
O sage mir, auf wen wartest du noch?«
»Nein«, sagte Klingsor, »ich meine den an-
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dern Vers, mit Reimen, von den Haaren,
die am Morgen noch dunkel waren –«
Hermann sagte alsbald den Vers:
»Noch am Morgen glänzten deine Haare
wie schwarze Seide,
Abend hat schon Schnee auf sie getan,
Wer nicht will, daß er lebendigen Leibes
sterbend leide,
Schwinge den Becher und fordre den
Mond als Kumpan!«
Klingsor lachte laut, mit seiner etwas hei-
seren Stimme.
»Braver Li Tai Pe! Er hatte Ahnungen, er
wußte allerlei. Auch wir wissen allerlei, er
ist unser alter kluger Bruder. Dieser trun-
kene Tag würde ihm gefallen, es ist gerade
so ein Tag, an dessen Abend es schön wäre,
den Tod Li Tai Pes zu sterben, im Boot auf
dem stillen Fluß. Ihr werdet sehen, alles
wird heut wunderbar sein.«
»Was war das für ein Tod, den Li Tai Pe auf
dem Fluß gestorben ist?« fragte die Male-
rin.
Aber Ersilia unterbrach, mit ihrer guten
tiefen Stimme: »Nein, jetzt höret auf! Wer
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noch ein Wort von Tod und Sterben sagt,
den habe ich nicht mehr lieb. Finisca
adesso, brutto Klingsor!«
Klingsor kam lachend zu ihr herüber: »Wie
haben Sie recht, bambina! Wenn ich noch
ein Wort vom Sterben sage, dürfen Sie mir
mit dem Sonnenschirm in beide Augen sto-
ßen. Aber im Ernst, es ist heut wunderbar,
liebe Menschen! Ein Vogel singt heut, der
ist ein Märchenvogel, ich hab ihn schon am
Morgen
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