Klostergeist
Dinge ein. Auch wenn vieles in der Gerüchteküche gekocht wurde, ein Körnchen Wahrheit ist doch in jeder Lügensuppe.«
Johannes goss sich die dritte Tasse Kaffee ein. Er ahnte, dass seine Hände dann zittern würden, doch er konnte nicht widerstehen, Pius’ Thesen mit einem süßen Kaffee zu krönen.
»Denk doch nur mal an den Gemeinderat«, erinnerte Pius. Sanfte Röte überzog seine Wangen und seine schwarzen Augen blitzten. »Da gab es in den vergangenen Monaten nichts als Ärger. Und keiner soll mir erzählen, dass die Damen und Herren Räte sich aus rein politischen Gründen mit dem Bürgermeister angelegt haben. Da menschelt es ganz gewaltig.« Pius resümierte die Berichte im ›Bergboten‹ und die Gespräche, die er bei seinen regelmäßigen Besuchen in der Gaststätte der Färberei mitbekommen hatte. Demnach sei im Stuttgarter Landtag ein neuer Fördertopf zur Sanierung der Innenstädte aufgemacht worden. Die Spaichinger wollten – natürlich und verständlich! – auch ihren Anteil an den Geldern haben und machten Teile der Stadt zum Sanierungsgebiet. Dumm nur, so die Bilanz im ›Bergboten‹, dass das Geschäftshaus von Arthur Hafen schon beinahe in der Unterstadt angesiedelt war – der Stellvertreter des Bürgermeisters, seines Zeichens Schuhhändler, war nun leer ausgegangen, stand mit den Kosten für die bereits begonnene Sanierung allein da und jammerte allenthalben, dass Manfred Engel ihm ›den letzten Schuh ausgezogen‹ habe. »Der Engel, sagt man, habe dem Hafen versprochen, Gelder für die Renovierung des Ladens aus dem Fördertopf zu ziehen. Und als kein Geld kam, ist der Hafen ausgerastet.«
Johannes nickte. Auch er hatte von jener Gemeinderatssitzung gehört, in der Schuhverkäufer Hafen zuerst weinerlich, dann wütend argumentiert und zur Untermalung seiner Worte schließlich eine 0,2-Liter-Flasche stilles Mineralwasser in Richtung Bürgermeister geschleudert hatte. Die Flasche hinterließ einen tiefen Eindruck in der massiven Tischplatte, Hafen rannte daraufhin aus dem Ratssaal. »Aber so einer schubst doch den Engel nicht vom Turm.« Johannes schüttelte den Kopf.
»Aber Motive hätte er gehabt«, sinnierte Pius. Er stocherte mit dem Löffel in den übrig gebliebenen Hefekrümeln herum. Doch er fand keine Rosine mehr.
»Hausbau ist Geschmackssache. Die sanierten Häuser gefallen nicht allen. Nun ja, so ist das auch mit unserem Marktplatz. Die einen lieben den Betonklotz, die anderen würden am liebsten den Architekten posthum an die Wand tackern.« Johannes lachte leise.
Pius aber stützte den Kopf in die Hände und brummte. »Egal, egal …«, murmelte er. »Das kann alles ein Grund sein oder auch nicht. Aber ich glaube einfach nicht, dass Engel sich umgebracht hat.«
»Dann liefere mir Indizien«, forderte Johannes ihn auf. »So machen die das im Fernsehen doch auch!«
»Nimm nur mal seine Frau Marlies. Wann immer man die beiden zusammen gesehen hat – sie waren das perfekte Paar. Da scheint doch alles gestimmt zu haben. Ich bilde mir so was nicht ein, Missstimmungen zwischen Paaren machen sich bemerkbar, da können die noch so gute Schauspieler sein. Nein, Engel hat eine absolut glückliche Ehe geführt, glaub mir. Außerdem, ich erinnere mich jetzt, wollte er sich ein Ferienhaus kaufen. Aber einer, der mit dem Leben abgeschlossen hat, der denkt doch nicht mehr über ein Urlaubsdomizil nach.«
»Schön und gut, auf dich hat das Ehepaar einen zufriedenen Eindruck gemacht. Aber, Kommissar Pius, ich habe da noch ein Gerücht …«
»Oh nein«, fiel Pius Johannes ins Wort. »Komm mir nicht mit der Bären-Bärbel!«
Johannes verzog beleidigt den Mund. »Ich mein ja nur …«
»Ja, ich hab auch von dem Gewäsch gehört. Dass die Bärenwirtin ein Verhältnis mit Engel gehabt haben soll. Dass sie sich heimlich in Stuttgart getroffen hätten. Die einen haben das Liebespaar auf der Königsstraße gesehen, die anderen sogar im Leuze, einträchtig miteinander im Thermalbad planschend. Aber solche Gerüchte gibt’s alle paar Monate über jede hübsche Frau in der Stadt.« Pius wischte die Krümel vom Tisch. »Die Bärbel ist eine schöne Frau und so mancher Gast kommt sicher nicht nur wegen des Bieres in den Bären.«
Johannes seufzte. »Die Liebe ist ein merkwürdiges Ding,« flüsterte er kaum hörbar.
Pius schien ihn nicht gehört zu haben, denn er stand abrupt auf und trug seinen Teller zum Servierwagen. »Ich werde jetzt arbeiten«, teilte er Johannes mit, der mit
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