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Klostergeist

Titel: Klostergeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Porath
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als er sie öffnete und in das von Altarkerzen spärlich beleuchtete Kircheninnere trat. Seine Finger tauchten in das eisige Weihwasserbecken. Pater Pius bekreuzigte sich, machte einen Kniefall vor dem Altar und ließ sich in die Bank gleiten.
    Neben ihm saß Pater Josef, das Gesicht tief über die gefalteten Hände gebeugt. Der Bruder Pförtner strömte den säuerlichen Geruch des Schlafes aus. Pius unterdrückte mit Mühe ein Gähnen. Josef nickte ihm stumm zu. Pius neigte sein Haupt. Unter den halb geschlossenen Lidern machte er die Gestalten der Brüder aus. Johannes, der sicher im Geiste schon die Zutaten für das Mittagessen durchging. Ortwin, der gleich nach dem Frühstück nach Spaichingen fahren würde, um eine vierte Klasse der Rupert-Mayer-Schule zu unterrichten. Bruder Sunil, der unter seiner Kutte einen dicken, kratzigen Pullover trug und dennoch jämmerlich fror – der Philippine mit den glänzenden schwarzen Augen war als Missionar nach Deutschland geschickt worden. Wie grotesk, dachte Pius. Schon paradox: Da kommt ein Spätmissionierter aus einem Entwicklungsland und missioniert nun seine ehemaligen Missionare, weil die das Glauben verlernt haben. Pater Pius kniff die Augen und den Mund zusammen. Ein Kichern drängte seine Kehle hinauf, als er an die Scherze dachte, die die Brüder vor Sunils Ankunft wegen dessen Namen gemacht hatten. »Wenn einer heißt wie ein Waschmittel, der muss ja eine weiße Weste haben«, erinnerte Pius sich an einen der Sprüche. Mit Mühe schaffte er es, nicht zu grinsen, als er sich schließlich erhob, aus der Bank rutschte und zum Altar nach vorne ging. Den Rücken den Brüdern zugewandt und noch immer ein Lächeln auf den Lippen, begann er, die Frühmesse zu lesen. Bald schon hüllten die Klänge der Orgel, wie immer gespielt von Pater Wolfgang, und die ewig gleichen Gebetsformeln seinen Geist ein. Pius versank im Gebet und mit jedem Atemzug, den er tat, wurde er wacher. Der Pater ließ sich von den Psalmen tragen und spürte, wie die Kraft, welche der Glauben und die Gemeinschaft ihm gaben, sein Herz erfüllte. Doch anders als an anderen Tagen durchflutete ihn heute keine Welle der Ruhe. Ihm war, als surrten Schmetterlinge durch seinen Kopf. Nervöses Flügelschlagen vibrierte in seinem Magen. Pius wurde unruhig – und konnte doch nicht fassen, warum.
    Mit Mühe gelang es ihm, die 20 Minuten bis zum Ende der Laudes am Altar zu stehen, ohne von einem Bein auf das andere zu treten. Hatte er etwas vergessen? Wartete eine unangenehme Aufgabe auf ihn? War diese Woche die Pfarrvertretung in Tuttlingen oder erst nächste? Hatten sich Besucher angekündigt? Pius’ Gedanken flogen, ohne zu erfassen, was ihn so nervös machte. Als er schließlich mit einem kräftigen »Amen« die Frühmesse beendete und als Erster aus der Kirche hinaus in den dämmernden Morgen trat, gelang es ihm, seine Unruhe wegzuwischen. Unten im Tal flammten in den Häusern die ersten warmgelben Lichter auf. Spaichingen erwachte langsam aus dem Schlaf der Kleinstadt. Die Mütter weckten die Kinder, welche in einer Stunde in der Schule sein mussten. Die ersten Väter verließen das Haus, um in der Maschinenfabrik oder beim Nudelmacher ihren Platz an den Maschinen einzunehmen. Von Ferne ratterte der Ringzug aus Tuttlingen heran. Die schwachen Lichter aus den beiden Waggons schlängelten sich wie ein Lindwurm entlang der Prim.
    Pius fuhr herum, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte.
    »Frierst du nicht?«, fragte Sunil. Die schwarzen Augen des Paters blitzten über der schnupfentriefenden Nase.
    »Ich nicht, aber du solltest ins Haus gehen«, antwortete Pius und klopfte dem Bruder auf die Schulter. »So schön der Blick von hier oben auch sein mag – das angenehme Klima deiner Heimat haben wir hier nicht.«
    Sunil lächelte gequält. »Nein, an diese Kälte werde ich mich nie gewöhnen. Da helfen auch all die Pullover nicht, die mir die Damen vom Bibelkreis stricken.«
    »Dir stricken sie immerhin Pullover aus guter Wolle, ich werde nur mit kratzenden Socken versorgt.« Pius lachte schallend – und schrie dann erschrocken auf: Mit einem dumpfen Klatschen knallte etwas Großes, Schwarzes auf den Boden vor seinen Füßen. Heiße Flüssigkeit spritzte in sein Gesicht. Pater Sunil quietschte wie ein geschlagenes Tier und sprang zur Seite. Pius riss die Augen auf – vor ihm auf dem Kies lag der Körper eines Mannes.
    Ungläubig blickte der Pater vom Leib auf dem Boden zum Kirchturm hinauf und wieder

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