Klostergeist
Papier verpackt. Der Rektor und die Bibliothekarin würden sich wohl oder übel mit einem neuen Termin zufriedengeben müssen.
Marianne Klaiber spülte den Keks mit einem kräftigen Schluck Kaffee hinunter. Dann wählte sie Hafens Nummer.
»Schuhhaus Hafen, Grüß Gott«, hörte Marianne Klaiber schon nach dem ersten Tuten.
»Grüß Gott, Frau Hafen. Klaiber hier. Kann ich mit Ihrem Mann sprechen?«
»Der hat grad Kundschaft, Moment bitte!« Marianne Klaiber hörte, wie Heidi Hafen die Hand über die Sprechmuschel legte. Das dumpfe Rascheln schien in ihrem Ohr zu knistern.
»Arthur, Aaaaarthuuuuur! Komm au mol her, do isch’s Rathaus am Abbarat!«
Wieder drang Rascheln per Telefon von der Hauptstraße ins Rathaus herüber.
»Er kommt glei, Frau Klaiber, oin Moment bloß no.«
»Danke, Frau Hafen, und einen schönen Tag wünsche ich.«
»Scho recht, Frau Klaiber, ebenso, ade.«
Marianne Klaiber zuckte zusammen, als der Hörer mit Schwung auf die Theke im Schuhladen knallte. Im Hintergrund vernahm sie Scharren, leises Poltern. Dann näherte sich die Stimme des Bürgermeister-Stellvertreters.
»Möchten Sie die Schuhe mit Karton oder ohne?«, hörte sie Arthur Hafen säuseln.
»Den Karton brauch ich nicht«, antwortete ihm eine weibliche Stimme.
»Kein Problem, Frau Weber, gell! Das sind wirklich sehr gute Schuhe. Gute Wahl, Frau Weber.«
Durch den Telefonhörer klang das schnelle Tippen auf der Tastatur der Kasse, dann ein Klingeln. Marianne Klaiber hörte, wie die Schublade aufsprang.
»Das wären dann neunundachzigfuffzig, Frau Weber. Darf ich Ihnen noch eine Pflege anbieten?«
»Bitte?«, hörte die Sekretärin und konnte sich nun ein Grinsen nicht verkneifen. Es war der immer selbe Dialog, mit dem Arthur Hafen einen Schuhkauf abschloss. Aber so, wie das ›Bitte‹ der Kundin klang, mochte Marianne Klaiber wetten, dass der Händler bei ihr keinen Erfolg haben würde.
»Das Leder ist zwar vorimprägniert, Frau Weber, aber wenn es mal regnet oder feucht ist, dann würde ich mich darauf nicht verlassen. Wir wollen doch keine nassen Füße haben.« Arthur Hafen schien etwas aus dem Regal hinter sich zu nesteln.
»Sehen Sie, nur vierzehnfuffzig und sie haben quasi immer neue Schuhe, die dicht sind.«
»Vierzehnfuffzig?«
Marianne Klaiber gab sich innerlich einen Punkt – diese Pflegetube würde den Laden nicht verlassen. Und richtig: »Nein, also das brauch ich nicht, das hab ich daheim.« Tütenrascheln. Nochmals ein ›Pling‹ der Kasse, als Arthur Hafen diese zuschob.
»Dann danke ich, Frau Weber, bis zum nächsten Mal, Frau Weber, und grüßen Sie Ihren Mann, Frau Weber.«
»Ade!«
Schritte. Das Bimmeln der Ladenglocke.
»Heidi! Heeeidiiii! Was hasch gsagt, wer am Telefon isch?«
»S’ Rathaus! Jetzt gang halt ond schwätz!«
Brummen. Klappern. Dann: »Arthur Hafen, grüß Gott!«
»Guten Morgen, Herr Hafen«, begann Marianne Klaiber. »Frau Engel hat mich eben angerufen. Sie müssten heut Nachmittag bei zwei Jubilaren einspringen.« Marianne Klaiber spannte die Schultern an und lauschte in die sekundenlange Stille in der Leitung. Dann hielt sie den Hörer vom Ohr weg. Arthur Hafen war auch so bestens zu verstehen.
»Ja, wie? Isch der Engel scho wieder net im Gschäft? Heidanei, was isch diesmal los?«, polterte Hafen.
»Ich weiß es nicht, das hat mir Frau Engel nicht gesagt. Darf ich Ihnen die Termine durchgeben?«
»Ja, was glaubt denn der eigentlich? Bin ich der Bürgermeister oder er? Ich hab ein Gschäft zu führen, heidanei, ich kann net zweimal in der Woche meine Frau allein im Laden lassen!«
Marianne Klaiber verdrehte die Augen. »Die Termine, Herr Hafen …«, startete sie einen zweiten Versuch. Doch der Angesprochene reagierte nicht. Seufzend legte die Sekretärin den Hörer auf den Schreibtisch, schaltete die Freisprechfunktion ein und startete am PC eine Partie Solitair.
»Also, das ist wieder einmal der Gipfel. Unsere Aushilfe hat Urlaub und grad um die Jahreszeit isch so viel los im Laden. Das schafft meine Frau nicht allein und an meine Quartalsabrechnung muss ich heut auch noch gehen. Soll ich mal wieder eine Nachtschicht einlegen? Wenn ich das gewusst hätte, Frau Klaiber, dass ich eigentlich kein Stellvertreter bin, sondern die meiste Arbeit machen muss, dann hätte ich mich ja gleich selbst zum Bürgermeister wählen lassen können.« Batsch. Arthur Hafen hatte mit der Faust auf den Tresen geschlagen.
Marianne Klaiber zuckte zusammen und geriet aus dem
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