Klostergeist
Konzept – welche Karte sollte sie aufdecken? Mist! Die Sekretärin startete eine neue Spielrunde.
»Und der Engel weiß ganz genau, dass die Umsätze im Einzelhandel grad immer mehr und mehr runtergehn. Also ehrlich, der mit seinem Beamtengehalt, der hat’s ja leicht. Der kriegt sein Geld auch fürs Daheimbleiben. Aber wenn ich nicht in meinem Laden steh, dann verdien ich auch nichts. Keinen Cent krieg ich dann, keinen müden Euro.«
Marianne Klaiber wischte mit einem Mausklick alle Asse im Spiel weg. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
»Und es ist ja nicht nur, dass ich zu den Terminen gehen muss, damit ist es doch nicht getan, ich muss dann auch noch eine Rede vorbereiten. Und bei keinem Geburtstag komm ich unter einer Stunde wieder raus. Schon allein aus Anstand muss ich ja einen Kaffee trinken und den Kuchen vertrag ich auch nicht, ich krieg noch Zucker, wenn ich wegen dem Engel jede Woche so viele Torten essen muss.«
Im Solitairspiel ließ sich die Pik-Fünf nicht unterbringen. Marianne Klaiber klickte einen neuen Kartenstapel auf.
»Gell, und dann will ich bloß mal dran erinnern, dass ich hier die meiste Arbeit mach, aber der Engel steht trotzdem immer in der Zeitung drin. Ich bin ein Schafseckel, dass ich das mit mir machen lass. Und was ist der Dank? Nix isch. Net mol mein Laden darf ich erweitern, net mol des. Der Engel isch dagegen, dass ein ehrbarer Geschäftsmann sein Unternehmen voranbringt. Wissed Sie, Frau Klaiber, das isch schon arg schwer für mich, dass ich des Haus nebenan net hab kaufa dürfe.«
Marianne Klaiber schloss das Solitairspiel, weil das Jammern kein Ende nahm.
»Das versteh ich ja, Herr Hafen, aber ich mach halt auch bloß meine Arbeit.«
»Ja, Frau Klaiber, das geht ja auch nicht gegen Sie persönlich.«
»Also, Herr Hafen, da hätten wir die goldene Hochzeit vom Ehepaar Jung, da sollten Sie so um 16 Uhr sein. Danach ist noch der 95. Geburtstag von Emil Vogt, der ist in der Alleenstraße.«
»Heidanei, im Altersheim, als ob ich’s gschmeckt hätt. Do gibt’s bloß Sahnekuchen, weil die mit ihrem Gebiss nix mehr beißa könnet«, brummte der Schuhhändler.
Marianne Klaiber ignorierte das. »Die Blumensträuße sind bestellt, die bringt Ihnen nachher jemand vorbei«, informierte die Sekretärin und machte hinter die beiden Termine einen Kugelschreiberhaken im Kalender, versehen mit dem Kürzel ›A.H.‹
»Ich weiß gar nicht, wie ich das zeitlich schaffen soll«, machte Arthur Hafen weiter. »Wie gsagt, heut isch so viel los, gell …«
»Herr Hafen, ich nehme an, dass der Redakteur vom Bergboten zur goldenen Hochzeit kommt, soweit ich weiß, will der morgen ein Foto in der Zeitung bringen.«
Eine Sekunde lang herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Marianne Klaiber grinste. Erwischt!
»Ja? Presse kommt auch?«, haspelte Hafen.
»Ich denke doch, Herr Hafen.«
»Naja, Sie können ja nix dafür, Frau Klaiber, nichts für ungut, gell?«
»Schon recht, Herr Hafen, ade dann.«
»Ade, Frau Klaiber.« Ein Klicken ertönte. Arthur Hafen hatte aufgelegt.
Marianne Hafen kramte einen zweiten Butterkeks aus der Schreibtischschublade. Dann startete sie eine neue Partie Solitair.
Hier ist Radio Donauwelle, euer Sender für Tuttlingen. Das eben war Cher mit ›Believe‹. Unser Werbepartner Optik Gebrüder Karl lässt wissen, dass es heute 25 Prozent Rabatt auf alle Fassungen gibt.
Am Mikrofon ist euer Tom. Wir spielen den heißesten Mix entlang der Donau. Los geht’s mit ›Have you ever seen the Rain‹ von den Ramones. Leute, ich hab heute mehr als genug Regen gesehen. Da draußen ist echt Herbst und die Donau spuckt mal wieder Nebel aus, dass es für ein ganzes Gruselkabinett reicht.
An alle Wasserratten: der Parkplatz beim TuWass ist belegt. Heute ist Frauensauna … wahrscheinlich haben die Damen wieder quer geparkt.
AUTSCH! Das war Kollegin Katja, die mich stellvertretend für alle Damen da draußen auf den Kopf gehauen hat. Ich nehm ’ s zurück – Frauen sind die besten Einparker der Welt! Für alle Mädels da draußen meine persönliche Entschuldigung: ›You are so beautiful‹ vom guten alten Joe Cocker.
Pius hielt sich mit der rechten Hand die Nase zu und blies Luft gegen den Widerstand. Das leise ›Plopp‹ in beiden Ohren quittierte der Pater mit einem tiefen Brummen. So lange er auch schon auf dem Berg lebte, an den Höhenunterschied und den Druck auf den Ohren konnte und wollte er sich nicht gewöhnen. Mit den Zeigefingern
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