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Klostergeist

Titel: Klostergeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Porath
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eingefallenen Schultern immer noch am Tisch saß und die leere Schinkenplatte fixierte. »Es kann sicher nicht schaden, wenn ich schon heute damit beginne, die nächste Sonntagspredigt zu verfassen.« Dann öffnete er die Tür und ging eiligen Schrittes hinauf in seine Zelle.
     
    Hier ist Radio Donauwelle, euer Sender für den Kreis Tuttlingen! Am Mikro ist eure Mittagsfrau Katja. Erst mal ein Hinweis von unserem Werbepartner Optik Gebrüder Karl: Heute gibt’s 25 Prozent Rabatt auf alle Brillengestelle und Fassungen namhafter Hersteller.
    Gleich ist es dreiviertel elf. Bis zu den Nachrichten haben wir Zeit für Hörerwünsche. Jasmin aus Möhringen hat morgen Prüfung in der Berufsschule und wünscht sich ›School‹ von Nirvana. Sie grüßt damit Ellen und Hanna. In Schura feiert heute Gisela den 50. Geburtstag. Ihr Mann Rainer wünscht sich für die beste aller Ehefrauen von REM ›Love is all around‹.
    Vorher aber nochmal der Hinweis auf ein geniales Weihnachtsgeschenk: Gutscheine für den Honbergsommer im kommenden Jahr sind ab sofort bei allen bekannten Vorverkaufsstellen erhältlich. Leute, bei dem Sauwetter da draußen tut es gut, schon mal an ein Open-Air-Konzert zu denken!
     
    Durch die Glastür drang das gedämpfte Surren der Saeco-Kaffeemaschine ins Büro. 10.45 Uhr. Kämmerer und Archivar Winfried Hecht war wie immer pünktlich dabei, seinen dritten Morgenkaffee zuzubereiten. Marianne Klaiber zog den Ausdruck des Briefes an den Hausener Bürgermeister – eine Einladung zum Feuerwehrfest im kommenden Mai – aus dem Drucker, legte das Blatt in die Unterschriftenmappe und schlug den Deckel des Pultordners zu. Dann rollte sie auf dem Bürostuhl die anderthalb Meter bis zum Sideboard, griff nach ihrer mit Rosen verzierten persönlichen Bürotasse und stand auf.
    Draußen auf dem Flur waberte der Duft von frisch gemahlenen Bohnen zwischen dem Odeur von Papier, Bohnerwachs und dem harzigen Aftershave des Kämmerers durch die Luft. Die Sekretärin des Bürgermeisters gähnte hinter vorgehaltener Hand, parkte die Tasse unter den Düsen und drückte auf den Knopf. Laut ratterte das Mahlwerk, ehe das heiße Wasser in die Tasse gepresst wurde. Als die letzten Tropfen mit einem leisen Zischen und Blubbern in die Tasse plumpsten, schellte das Telefon auf Marianne Klaibers Schreibtisch. Einmal, zweimal. Die Sekretärin holte sich zwei Würfelzucker, ließ sie in die Tasse fallen, nahm sich einen Löffel und ging zurück in ihr Büro. Mit der Hacke ihrer halbhohen dunkelblauen Pumps gab sie der Glastür einen sanften Tritt, sodass diese beinahe geräuschlos zufiel.
    »Stadtverwaltung Spaichingen, Sie sprechen mit Marianne Klaiber, was kann ich für Sie tun?«, spulte sie ihre Begrüßung automatisch ab, während sie den dampfenden Kaffee zwischen Telefon und Stiftehalter auf dem Schreibtisch platzierte.
    »Guten Morgen, Frau Klaiber, Marlies Engel hier.«
    »Grüß Gott, Frau Engel«, sagte die Sekretärin und griff nach Notizblock und Kugelschreiber. »Wie geht es Ihnen?«
    »Danke, schon recht, Frau Klaiber. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass mein Mann heute nicht ins Büro kommt.«
    Marianne Klaiber seufzte innerlich auf, als sie an den prall gefüllten Terminkalender des Bürgermeisters dachte. Um 12 Uhr sollte er mit dem Vorsitzenden des Gewerbevereins zu Mittag essen – ein Termin, der sich sicher verschieben ließ –, um 14 Uhr hatte sich der Direktor der Realschule wegen des geplanten Ausbaus des Schulhofes angekündigt und nach dem Gespräch mit der Leiterin der Stadtbücherei, die auch als Kulturbeauftragte fungierte und das neue Jahresprogramm mit Kabarett und Konzerten absprechen wollte, sollte Manfred Engel erst einem goldenen Brautpaar und dann einem 95-jährigen Bürger gratulieren.
    »Mehr kann ich dazu nicht sagen«, hörte Marianne Klaiber Frau Engel sagen, ehe ein Klicken die Leitung unterbrach.
    »Na prima, mal wieder«, knurrte die Sekretärin und malte mit dem Kugelschreiber drei kleine Blitze auf den Block. Dann riss sie das Blatt mit Schwung ab, knüllte es zusammen und warf es in den Papierkorb. Sie ahnte, was jetzt kommen würde, und beschloss, erst einen Butterkeks zu essen, ehe sie bei Arthur Hafen anrief. Als Stellvertreter des Bürgermeisters würde dieser zumindest die Besuche bei den Jubilaren übernehmen müssen. Immerhin waren die beiden Blumensträuße längst bestellt und noch am Vorabend hatte die Auszubildende im ersten Lehrjahr zwei Bildbände in rot glänzendes

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