Klostergeist
zischte sie.
Fischer, einen derartigen Ton von einer Frau nicht gewohnt, wich einen Schritt zurück. »Ich denke, Frau Kollegin, ich werde mich mal auf den Weg in die Gerichtsmedizin machen.« Er machte auf dem Absatz seiner Maßschuhe kehrt, sodass der Kies knirschte.
Pius klopfte Verena Hälble auf die Schulter. »Du machst das schon«, flüsterte er. »Ich bete für dich.«
»Danke, Pater Pius«, erwiderte Verena. »Ich werde erst einmal zu Frau Engel fahren. Sie wird noch nichts wissen.«
»Ich denke an dich bei diesem schweren Gang«, versicherte Pius, innerlich froh, dass sie ihn nicht um seine Begleitung bat. So sehr er sich auch der Seelsorge verschrieben hatte – das Gespräch mit Trauernden zählte zu den Dingen seiner Mission, die ihm am wenigsten behagten.
Verena Hälble nickte ihm zu und hastete hinter Fischer her zum Auto. Auf dem Weg vom Berg hinunter zum Polizeirevier in der Hauptstraße schärfte sie ihrem Kollegen ein, nur ja nichts an die Presse zu geben.
»Nicht auszudenken, was in der Stadt los ist, wenn wir ungefiltert die Nachricht vom Tod des Bürgermeisters rausgeben!«
Fischer blieb stumm und ballte seine manikürten Hände zu Fäusten. Mist! Zu gerne wäre er selbst mit dieser Nachricht in die Redaktion des ›Bergboten‹ gestürmt. Sein Foto auf dem Titel, ganz bestimmt wäre das der Aufmacher in Tuttlingen, Rottweil, bei der Stuttgarter Zeitung, den Nachrichten … Aber nein, der Herrgott und der Polizeipräsident mussten ihm ja diese Frau vor die Nase setzen.
»Ist das klar?« Verena Hälbles Stimme klang blechern, als sie Fischer fixierte.
»Klar, Kollegin«, brummte der und stieg aus dem Wagen.
Verena Hälble indes wendete mitten auf der zu dieser Tageszeit noch kaum befahrenen Hauptstraße und steuerte die Aldingerstraße an. Im Stillen wettete sie mit sich, dass sie 3 Minuten und 12 Sekunden brauchen würde. Radio Donauwelle spielte ›Thriller‹ von Jackson. Der Weg führte sie am Kreisklinikum vorbei. Vor der Rettungswache stand der SanKa, welcher eben noch auf dem Berg gewesen war. Der Anästhesist lehnte am Wagen und paffte eine Zigarette. Verena nickte ihm im Vorbeifahren zu, doch Prätorius bemerkte sie nicht.
Langsam bog sie schließlich in die Aldingerstraße ein. In den meisten Fenstern brannte Licht. Die Bewohner bereiteten sich auf den Tag vor. Verena hielt vor der Nummer sieben. Der Blick auf die digitale Uhr im Armaturenbrett sagte ihr, dass sie sich gründlich verschätzt hatte und somit keine Schokobanane gegen sich selbst gewonnen hatte: Sie hatte mehr als sieben Minuten für die Strecke gebraucht.
Hinter dem Küchenfenster, in welchem aus weißem Garn gehäkelte Gänse als Gardinen vor den Fenstern baumelten, erkannte sie eine Gestalt. Frau Engel machte sich wohl gerade einen Kaffee.
Die Kommissarin blieb einige Minuten im Auto sitzen und sah der Frau zu. Beobachtete, wie sie Geschirr aus dem Küchenschrank nahm, den Kühlschrank öffnete und wieder schloss. Verena schnürte es die Kehle zu als sie daran dachte, dass in wenigen Augenblicken im Leben dieser Frau nichts mehr so sein würde, wie es bis heute kurz vor 6 Uhr noch gewesen war.
Hier ist Radio Donauwelle, euer Sender für den Kreis Tuttlingen! Am Mikrofon euer Morgenmann Steven mit den aktuellsten Hinweisen zum Tag. Im TuWass ist heute Saunatag – aber nur für die Damen. Meine Herren, entweder bleiben Sie zu Hause und gucken fern, oder Sie gehen in den Irish Pub und freuen sich ab 17 Uhr auf die Happy Hour. Und noch ein Hinweis von unserem Werbepartner Optik Suttner: Heute gibt’s 20 Prozent Rabatt auf alle Brillengestelle.
Am Aesculapkreisel habt Ihr wieder freie Fahrt, die Unfallstelle ist geräumt.
Der Blitzer in Rietheim ist abgebaut. Aber Raser sollten am Ortseingang Spaichingen aus Schura kommend runter vom Gas!
Bis ran an die Nachrichten kommen jetzt die aktuellen Charthits. Und davor noch ein Hörerwunsch von Erkan aus Aldingen, der mit ›The Last Unicorn‹ von America seine Frau und Tochter grüßt.
Schließlich gab sich die Kommissarin einen Ruck und stieg aus. Über den gepflasterten Weg ging sie an gestutzten Thujabäumen und herbstkahlen Büschen vorbei zur Haustür. Neben dem Klingelknopf hing ein Salzteigschild mit der braun gemalten Aufschrift: ›Hier wohnen Manfred und Marlies Engel‹. Verena Hälble sog die Luft ein. Dann drückte sie auf den Klingelknopf.
›Ding-dang-dong‹. Der dreitönige Gong zerriss die morgendliche Stille. Verena Hälble trat
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