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Klostergeist

Titel: Klostergeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Porath
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von einem Bein aufs andere. Nicht, weil ihr kalt gewesen wäre – der November ließ sich milder an, als erwartet –, sondern weil sie am liebsten davongerannt wäre. Da mochten noch so viele psychologische Schulungen auf der Hochschule in Villingen-Schwenningen in ihrer Personalakte stehen – was sie jetzt tun oder sagen sollte … Verena wusste es nicht. Von innen näherten sich Schritte. Das Licht im Flur wurde angeknipst und der Schlüssel drehte sich im Schloss. Die Tür schwang auf und Marlies Engel sah sie fragend an. Zwischen den noch ungeschminkten Augen prangte eine steile Zornesfalte.
    »Guten Morgen, Frau Hälble«, sagte die Frau des Bürgermeisters und zog den Gürtel um den mit üppigen englischen Rosen bedruckten Morgenmantel enger. »Wollen Sie zu meinem Mann?«
    »Ihr Mann? Ja, äh … also … Guten Morgen, Frau Engel. Darf ich eintreten?«
    »Sie wissen schon, dass es noch mitten in der Nacht ist, gell?« Widerwillig trat Marlies Engel einen Schritt zur Seite. Verena ging an ihr vorbei ins Haus. »Ich hoffe nur, dass es etwas Wichtiges ist, was Sie von meinem Mann wollen. Er ist zwar der Bürgermeister, aber das heißt wirklich nicht, dass er 24 Stunden am Tag erreichbar sein muss.«
    Verena spürte, wie ihr die Röte in die Ohren schoss. Sie war froh, dass sie im letzten Sommer beschlossen hatte, ihre kurze Stoppelmähne wachsen zu lassen. Unter dem kinnlangen Bob konnte sie jetzt, in diesem Moment, ihre rot glühenden Ohren bestens verbergen.
    »Es ist wichtig, glauben Sie mir«, sagte Verena, selbst überrascht, wie fest ihre Stimme klang. Sie straffte die Schultern und öffnete den Reißverschluss ihres Anoraks.
    »Na, dann gehen sie bitte in die Küche, ich hole meinen Mann«, sagte Marlies Engel. »Aber begeistert wird er nicht sein.«
    »Bitte, Frau Engel, ich komme wegen Ihres Mannes, also … Frau Engel, ich komme zu Ihnen, mit Ihnen muss ich sprechen.«
    Marlies Engel sah die Kommissarin fragend an. Sie nestelte erneut am Gürtel des Morgenmantels.
    »Frau Engel, es ist … bitte setzen Sie sich.« Verena ging voraus in die Küche. Warmer Kaffeeduft empfing sie. Marlies Engel stand mit fragendem Gesichtsausdruck in der Tür. Verena deutete auf einen der beiden Stühle, die um einen weißen Wandtisch standen.
    »Setzen Sie sich, bitte«, wiederholte Verena. Marlies Engel gehorchte. Der Ton der Kommissarin duldete keinen Widerspruch.
    »Ihr Mann ist tot.« Im selben Moment, da sie die Worte ausgesprochen hatte, wollte Verena sich ohrfeigen. Wo bleibt das psychologische Feingefühl, Verena?
    Marlies Engel legte fragend den Kopf schief. Ein spöttisches Lächeln umspielte ihren Mund und ließ sie mit einem Mal viel jünger wirken, als sie war.
    »Soso«, sagte die Witwe und nickte leicht. »Haben Sie sich in der Haustür geirrt? Das ist ein ganz übler Scherz, Frau Hälble. Mein Mann liegt oben in seinem Zimmer und schläft. Aber nicht mehr lange, denn jetzt hole ich ihn.« Marlies Engel sprang auf. Verena hielt sie am rosenbedruckten Ärmel fest.
    »Das ist kein Scherz, Frau Engel, ich wollte, es wäre einer.«
    Langsam, wie in Zeitlupe, ließ die Frau des Bürgermeisters sich auf den Stuhl zurückgleiten. »Manfred ist … er … aber …« Marlies Engel schüttelte den Kopf, sodass die blond gefärbten Locken in alle Richtungen flogen. Klappte den Mund auf zu einem stummen Schrei. Presste die Faust zwischen die Lippen. Und sah Verena an aus Augen, die dem eines waidwunden Rehs glichen. »Wie?«, flüsterte sie schließlich mit bebender Stimme.
    »Er ist vom Turm auf dem Dreifaltigkeitsberg gestürzt.« Verena legte der Witwe die Hand auf den Arm und überlegte sich, in welcher Tasche sie die Tempos hatte. Gleich würde sie sie brauchen …
    »Vom Turm gefallen«, wiederholte Marlies Engel. »Vom Turm gefallen.«
    »Frau Engel, bitte entschuldigen Sie, ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen«, sagte Verena. »Ich weiß, es ist nicht der passende Moment …«
    Marlies Engel erhob sich und riss die Schranktür auf. Nahm eine Tasse heraus und goss mit erstaunlich ruhiger Hand Kaffee ein.
    »Nehmen Sie Milch? Zucker?«, fragte sie und stellte den dampfenden Pott vor Verena auf den Tisch.
    »Frau Engel? Haben Sie mich verstanden?« Verwundert sah die Kommissarin zu, wie die Witwe sich in der Küche zu schaffen machte.
    »Oh ja, ich habe sie verstanden, mein Mann ist tot, weil er vom Kirchturm gesprungen ist.«
    »Gesprungen? Wie kommen Sie darauf?«
    »Muss ich das beantworten?«

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