Klotz, Der Tod Und Das Absurde
Mordtheorie wies Klotz wiederholt
auf die Tatsache hin, dass Gummler just an seinem Geburtstag gestorben war.
Außerdem war die Tötung ja, wie schon erwähnt, spektakulär und planvoll
verlaufen.
Staatsanwältin Gulden, deren Mann als Psychoanalytiker arbeitete,
konterte, dass gerade unauffällige, vom Leben vergessene und verstoßene Typen
wie dieser Gummler dazu neigten, ihren Tod als große Inszenierung erscheinen zu
lassen. Diese Art von Leuten hatte eine notorische Sehnsucht nach der großen
Tat, auf die möglichst die ganze Welt sehen sollte. Und da sie die große Tat im
Guten nicht hinbringen würden, versuchten sie es irgendwann im Bösen. Sie
liefen entweder Amok oder begingen, wie im vorliegenden Fall, einen minutiös
und akribisch vorbereiteten Selbstmord, der sich durch seine Außergewöhnlichkeit,
seine Exponiertheit auszeichnete. Ein planvolles Vorgehen widerspreche einem
inszenierten Suizid in keiner Weise, ganz im Gegenteil.
Klotz musste an Biros Geschichte denken. Der vorgetäuschte Mord.
Dann fiel ihm der Wagen wieder ein. Die Nummernschilder des Wagens waren nicht
registriert. Man musste also davon ausgehen, dass der Golf gestohlen worden
war. Betrieb ein Selbstmörder solch einen Aufwand? Fälschte der etwa
Kennzeichen und klaute einen Wagen, den er dafür benutzte, um sich mit Beton
einzugießen? Das wäre auch einfacher gegangen. Außerdem existierte kein
Abschiedsbrief, und das war kein unerhebliches Detail.
Die Staatsanwältin kam an dieser Stelle ein wenig ins Wanken und
hielt als Fazit fest:
»Möglicherweise war es Mord. Suizid kann zum jetzigen Zeitpunkt
allerdings nicht ausgeschlossen werden.«
Klotz war wieder vor die Tafel getreten und hatte gerade zwei
Buchstaben angeschrieben, als die Tür geöffnet wurde und ein von oben bis unten
mit grauem Betonstaub überzogener Chefpathologe eintrat. Lackners Erscheinung
stand im Gegensatz zu dem Lächeln, das sich auf dünnen Lippen abzeichnete. Als
er sich neben Laanschaf auf den freien Platz setzte, staubte aus dem Arztkittel
eine graue Wolke. Er entschuldigte sich, zog ein Tuch hervor, mit dem er Stirn,
Nase und Wangen abtupfte, und sah mit leuchtenden Augen in die Runde.
Die Staatsanwältin schien erleichtert und ermunterte den Nachzügler,
seinen Bericht darzulegen. Klotz zog zu der einzigen Lücke, die noch geblieben
war, einen Pfeil: »Rechtsmedizinischer Befund«.
Lackner berichtete. Er beschrieb die Ermittlung des Todeszeitpunkts
vor Ort, verschwieg einen postmortal eingetretenen Genickbruch, der über jeden
Verdacht der Todesursächlichkeit erhaben war, und berichtete über die
Freilegung der Leiche, die nur recht langsam vonstattenging, da man im Umkreis
des Körpers nicht mit schwerem Gerät, wie Schlagbohrern oder Presslufthämmern,
arbeiten konnte. Kleinere Stemmeisen kamen zum Einsatz, die von Laanschafs
Kriminaltechnikern bedient wurden. Dennoch hatte man den Beton um die Leiche
inzwischen bis auf Bauchhöhe entfernt, Arme und Hände lagen frei.
Das Interessanteste bis jetzt sei allerdings nicht die Leiche,
sondern das Handschuhfach.
»Hast du den Ausweis gefunden?«, warf Escherlich ein und erntete für
seine rhetorische Frage den wütenden Blick des Rechtsmediziners.
Lackner zog ein durch Klarsichtfolie geschütztes DIN-A 4-Blatt hervor: Der Abschiedsbrief.
Sie hatten alle ihre Plätze verlassen und eine Traube um das Papier
gebildet:
Lieber Vater,
es tut mir leid, aber ich kann nicht mehr. Dieses Leben hat es
nicht gut gemeint mit mir, und deshalb glaube ich, dass es besser für mich ist,
den Freitod zu wählen. Ich sterbe an meinem siebenunddreißigsten Geburtstag,
weil der Tag meiner Geburt auch schon mein Ende bedeutet hat. Ich hoffe, du
kannst mir verzeihen. Mama und ich werden da oben auf dich warten.
In Liebe
Dein Sohn Thorsten
»So, meine Damen und Herren. Ein starkes Indiz, das auf einen Suizid
hindeutet«, stellte Staatsanwältin Gulden süffisant fest.
»Maschinengeschrieben. Mit dem Computer. Wer macht denn so was? Noch
nicht mal eine eigenhändige Unterschrift. Und überhaupt. Meines Wissens hatte
der gar keinen PC «, hielt Klotz
entgegen.
Escherlich kam seinem Kollegen zu Hilfe: »Nichts, was diese bizarre
Todesart rechtfertigen würde. Das veranstaltete Spektakel steht in keinem
Verhältnis zu dem Inhalt des Briefes. Plattitüden, nichtssagende, banale
Allgemeinplätze.«
Klotz verspürte plötzlich den Drang, das Besprechungszimmer zu
verlassen. Er entschuldigte sich und ging. Als er am
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