Klotz, Der Tod Und Das Absurde
Escherlich zur Kfz-Stelle fahren dürfen, um die Geschichte mit
dem Golf und den gefälschten Kennzeichen näher zu untersuchen. Aber so. Selber
schuld .
Und er selbst? Erst mal sehen. Vielleicht würde er später noch mal
zum alten Gummler rausfahren. Irgendwie hatte er den Eindruck, dass er etwas
übersehen hatte.
Er setzte sich an seinen Schreibtisch: eine Computertastatur mit
neuem Flachbildschirm. Das Foto, auf dem sein Sohn Frederik mit einer viel zu
großen Schultüte zu sehen war. Das kleine Polizeimotorrad. Der Locher, den er
wieder an seinen Platz gestellt hatte. Ein paar Kakteen und der Bonsai. Der
Bonsai: Na, der hat aber mal wieder frisches Wasser nötig.
Klotz nahm die tönerne Schale, in der das Zwergenbäumchen gepflanzt
war, ging rüber zum Waschbecken und wässerte die Pflanze. Kehrte zurück zum
Schreibtisch. Setzte sich. Gedankenverloren griff er nach dem kleinen
Polizeimotorrad und drehte es in seiner Hand hin und her. Jetzt fiel ihm wieder
etwas ein. Gestern am Tatort, da war ihm aufgefallen, dass er seinen
Dienstausweis nicht dabeigehabt hatte, und zu Hause war er auch nicht
aufzufinden gewesen. Also dann, machen wir uns mal auf die Suche .
Er durchsuchte seinen Schreibtisch. Das Leben eines Menschen wird am
Inhalt seiner Schreibtischschubladen offenbar. So etwas Ähnliches hatte er
schon mal irgendwo gelesen. Vielleicht aber stammte der Gedanke sogar von ihm
selbst.
Neben dem Üblichen, wie jede Menge von Stiften, Briefumschlägen,
Folien, Heftern, Kladden und Karteikarten, förderte Klotz’ archäologische
Entdeckungsreise noch wertlosen Schund und einige interessante Fundstücke
zutage. So kamen unter anderem eine ausgetrocknete Packung echte Nürnberger
Elisenlebkuchen, deren Haltbarkeit vor zwei Jahren abgelaufen war, eine
zertrümmerte Sonnenbrille, eine Drehmaschine für Zigaretten, das gealterte
Gesicht von Tom Waits, das auf dem Cover eines Rolling-Stone-Magazins prangte,
und ein gerahmtes Foto, das seine Mutter zeigte, zum Vorschein. Klotz war über
all diese Exponate mehr oder weniger entzückt, nicht aber verwundert. Wie
allerdings die Taschenuhr, die er von seinem Vater zur Konfirmation geschenkt
bekommen hatte, den Weg hierher ins Präsidium gefunden hatte, war ihm ein
absolutes Rätsel.
Klotz erhob sich und sah aus dem Fenster auf den Jakobsplatz
hinunter. Umringt von hohen Gebäuden, die allesamt später errichtet worden
waren, machte das mittelalterliche Gebäude der kleinen Kirche da unten einen
verlorenen Eindruck.
Er sah einen kräftigen, dicklichen Mann aus der Kirche herauskommen
und den Weg in die Ludwigstraße einschlagen. Nachdem er ein paar Schritte
gegangen war, blieb er unvermittelt stehen und sah am Polizeigebäude hinauf.
Wie er da stand, mit seinen halblangen, rötlichen Haaren, die von einem Wind,
der nicht recht wusste, für welchen Kurs er sich entscheiden sollte, bald in
diese, bald in jene Richtung gezerrt wurden, machte er einen fast ebenso
verlorenen Eindruck wie die Kirche. Klotz wunderte sich ein wenig, dass der Mann
nur mit einem Strickpullover bekleidet war. Die Temperaturen waren seit gestern
merklich zurückgegangen.
Plötzlich bemerkte Klotz, dass der Mann ihn mit seinem Blick
fixierte. Oder kam ihm das nur so vor? In einem Anflug von Angriffslust
beschloss er dem Blick des Unbekannten standzuhalten. Langsam, aber sicher
machte sich auf dem Gesicht des Unbekannten ein hämisches Grinsen breit. Klotz
wurde wütend. Der Frechling begann zu lachen, steckte sich den kleinen Finger
ins Ohr, pulte einige Sekunden darin herum, zog ihn wieder heraus und steckte
ihn schließlich in den Mund. Warum Klotz in diesem Moment an Jogi Löw denken
musste, wusste er selbst nicht. Der Mann hatte aufgehört zu lachen. Klotz’
Geduld war am Ende. Er riss das Fenster auf und wollte dem Irren etwas zurufen.
Gerade noch rechtzeitig wurde er sich der Lächerlichkeit der Situation bewusst,
und er warf das Fenster wieder zu. Also Leute gibt’s, die gibt’s gar nicht .
Klotz ging zum Waschbecken, zum Bonsai, der noch im Wasser stand.
Befreite ihn von seinem Wasserbad und trug ihn zum Fensterbrett. Komisch,
dachte er, als er dort angekommen war. Da bestätigt er sich wieder, dieser alte
Gedanke, dass, wenn man sich auf etwas konzentrierte und man es nicht fand,
dass man dann einfach etwas ganz anderes tun sollte. Neben der Stelle, wo der
Bonsai seinen Platz hatte, lag sein Dienstausweis. Warum hatte er den vorhin
nicht gesehen, als er die Pflanze weggenommen hatte?
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