Klotz, Der Tod Und Das Absurde
musste morgen gleich in die Reinigung.
Dann ging er in den Wohnraum und legte etwas von U 2 ein, zog sich aus
und begab sich unter die Dusche.
Als er mit Duschen fertig war und Bono und seine Bandkollegen mit
Gitarre, Glockenspiel, Percussion und Schlagzeug einen staubigen Klangteppich
aus Melancholie, Wut, Liebe und Religion ins Zimmer legten, spülte Klotz das
gesamte Geschirr der letzten Woche ab. Dabei ärgerte er sich jedes Mal, wenn er
vergaß, dass man mit nassen Fingern besser keine Zigarette anfasste.
Er lag auf dem Bett und hatte seine Hände hinter dem Kopf
verschränkt. Ob er die Glotze anmachen sollte? Er konnte sich zu keiner
Entscheidung durchringen und starrte stattdessen auf das einzige Bild, das er
in seinem Zimmer hängen hatte. Einen Kunstdruck von Millais, den Titel hatte er
vergessen. Er wusste gar nicht, wie er dazu gekommen war, den Druck behalten zu
dürfen, er als Kunst- und Kulturbanause. Da hatte Diana sicher einen Fehler
gemacht. Oder das Ding war gänzlich ohne Wert. Er betrachtete das Bild, das
helle grün-gelb-braune Feld, auf dem irgendwelche Vögel herumlatschten. Weiter
im Hintergrund konnte man vereinzelt Schafe erkennen, die scheinbar nicht so
genau wussten, wo sie hingehörten, und im Himmel, der teils bedrohlich, teils
hoffnungsvoll wirkte, leuchteten zwei Regenbogen, strahlenartig, von oben
kommend, in den mit Bäumen, Sträuchern und Häusern bepflanzten Horizont. Oder
waren es die Schweife zweier einschlagender Mittelstreckenraketen? Egal. Das
Mädchen im Vordergrund mit dem Schifferklavier auf dem Schoß bemerkte von
alldem jedenfalls nichts. Sie hatte die Augen geschlossen, blickte woanders
hin.
But I know, oh no / Shadows and tall trees.
18. Dezember
Staatsanwältin Gulden saß am vorderen Tischende neben dem
Overheadprojektor und machte einen angespannten Eindruck. Klotz, der sich heute
Morgen rasiert und sein bestes Hemd angezogen hatte, gab der Staatsanwältin die
Hand und glaubte »Chanel N°5« wahrzunehmen. Sein Rasierwasser hieß »Prince« und
war eine Création der Gebrüder Albrecht.
Frau Gulden erhob sich, um die Anwesenden zu begrüßen.
Gerichtsmediziner Lackner würde noch eine Weile brauchen, man könne aber auch
ohne ihn beginnen.
Das graue Kostüm, das die Staatsanwältin trug, passte farblich gut
zu den blondierten Haaren. Es erinnerte ein wenig an die Ausgehuniform einer
Luftwaffenhelferin der Wehrmacht.
Klotz stand auf und ging zur Tafel. In die Mitte schrieb er:
»Thorsten Gummler«, darunter zwei Datumsangaben, »17.12.1969« und »17.12.2006«.
Dann ordnete er den beiden Angaben ein Sternchen und ein Kreuz zu.
»Thorsten Gummler kam gestern auf unnatürliche Weise zu Tode. Wie
unser Gerichtsmediziner Herr Lackner noch am Tatort feststellen konnte, trat
der Tod des Opfers ziemlich exakt um null Uhr ein. Dass das Opfer beinahe exakt
an seinem siebenunddreißigsten Geburtstag stirbt, kann kein Zufall sein. Der
Täter ist bei der Planung seiner Tat ganz offensichtlich äußerst bewusst
vorgegangen.«
Die Staatsanwältin begann mit ihren Zwischenfragen: »Sie sprechen
von einem Täter. Sind Sie sicher, dass es sich um einen Einzeltäter handelt?
Könnten es nicht mehrere gewesen sein?«
»Theoretisch kommen durchaus mehrere Täter in Frage. Die
Auffindungssituation der Leiche sowie die Verhältnisse am Tatort lassen jedoch
eher auf die Handschrift eines Einzeltäters schließen. Aufgrund des doch
relativ hohen Kraftaufwands, der zur Ausführung der Tat notwendig war, gehe ich
von einem männlichen Täter aus. Obwohl der Tod von Thorsten Gummler unblutig
verlaufen ist, erscheint die Vorgehensweise doch sehr brutal, was ebenfalls für
einen Mann als Täter spricht.«
Als keine weiteren Fragen kamen, wandte sich Klotz wieder der Tafel
zu. Kreiste den Namen des Opfers ein und machte einen Pfeil nach oben, wo er
die Wörter »Tatort/Auffindungssituation« anschrieb. Er legte eine vorgefertigte
Tatortskizze auf den Projektor. Dann nahm er wieder den Filzstift in die Hand,
machte einen Pfeil, schrieb »Spurenlage« an die Tafel und bat Laanschaf um
dessen Statement.
Der Bericht der kriminaltechnischen Untersuchungskommission war
leider noch nicht vollständig, allerdings gab es schon einige Ergebnisse. Die
Schuhabdrücke, die am Tatort genommen wurden, gehörten insgesamt zu sieben verschiedenen
Personen. Zwei davon erschienen interessant zu sein, da sie sich um den Golf
und den Lkw konzentrierten. Da die Freilegung der Leiche noch nicht
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