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Klotz, Der Tod Und Das Absurde

Titel: Klotz, Der Tod Und Das Absurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Klier
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Überschreitung. Ja, irgendwie war das nicht von der Hand zu
weisen. Die Fähre befand sich gerade wieder im Fluss und drehte bei, um auf der
baden-württembergischen Seite anzulegen. Plötzlich fiel ihm seine Schulzeit
ein. Lateinunterricht. Irgendwie erinnerte ihn das da unten an etwas. Aber
woran? Während er sich eine Zigarette drehte, kramte er in seinem Gedächtnis
herum. Charon. Ja genau. Der Fährmann, der die Verstorbenen über den Acheron in
das Reich der Toten brachte. Der Mörder hatte eine Fähre als Schauplatz seines
Verbrechens gewählt. Nicht einfach nur eine Brücke. Klotz war überzeugt davon,
dass jedes Detail in diesem Fall eine Andeutung haben musste. Und wenn er nun
mal keinen Fallanalytiker bekommen würde, dann musste er diesen Job eben selbst
machen.
    Charon setzte die Toten über den Fluss. Und der Mörder? Der Mörder
war nicht der Fährmann, und er hatte Bogendorfer auch nicht über den Fluss
gesetzt, sondern in den Fluss. Auf der
Basis der griechischen Mythologie erschien das, was hier veranstaltet worden
war, irgendwie verpatzt oder unvollkommen.
    Unvollkommen. Klotz sah nach unten und wunderte sich, dass er nicht
mehr zitterte. Haevernick hatte die Burgschänke verlassen und winkte zu ihm
hoch. Jetzt nur nicht stören lassen. Weiterdenken.
    Haevernick, die zwischen einem Turmrest und einer zerfallenen Mauer
stand, wollte nicht aufhören zu winken. Irgendwie fühlte er sich wieder an die
beiden Kinder im Stau erinnert.
    »Wann kommst du endlich? Ist die Aussicht dort oben so berauschend?«, rief Haevernick zu ihm hoch.
    Als er den blonden Schopf seiner Kollegin dort unten in den Ruinen
sah, fragte er sich, warum man eine solch prächtige Burganlage eigentlich nicht
wiederaufbaute. Warum man sie in diesem ruinösen Zustand beließ. Ruinös und … unvollkommen .
    Die Burg. Also auch ein Element der Unvollkommenheit. Konnte das
Zufall sein? Was bedeutete das? War da etwas, was vollendet werden musste? Was
durch die Morde vollendet wurde? Eine Ruine, etwas Zerstörtes, Kaputtes, was
sich irgendwo in der Vergangenheit befand und jetzt fertiggestellt oder
wiederaufgebaut wurde?
    Er stellte fest, dass der Boden unter seinen Füßen nicht aus rotem
Sandstein, sondern aus Beton bestand. Beton, dachte Klotz, dachte an Gummler,
assoziierte: Stein, Ruine, Lkw, Baustelle. Waren das Hinweise? Vermutlich. Nur
worauf?
    Und dann das Absurde. Ein Mörder geht her und mordet und sagt: Seht
her, dies ist ein Mord! Ich aber sage, es war Selbstmord. Und ich sage es so,
dass jeder merkt, dass ich die Unwahrheit sage. Bin ich ein Narr? Oder seid ihr
die Narren? Ironie, Zynismus, Schein und Sein. Täuschung. Lüge. Worum ging es
hier?
    Unweigerlich fielen ihm die Akten Britta Lohofer und Elisa Morvan
ein. Da steckte auch so was drin.
    Chaos, Krise, Katastrophe: Klotz war in seinem Element. Fragen über
Fragen, auf die es Antworten zu finden galt.
    Sie hatten beschlossen, noch die in den Akten benannten Zeugen
aufzusuchen. Ein Ehepaar namens Böhner war auf der Fähre gewesen, als der Mord
an Bogendorfer geschah.
    Der blaue Omega hielt vor einem Haus mit einer rotbraunen Fassade. Die
Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Eine bieder gekleidete Frau in den
Sechzigern öffnete ihnen die Tür.
    Herr Böhner saß in einem Arbeitszimmer, in dem es nach altem Mann
und antiquarischen Büchern roch.
    Neben den vielen alten Büchern registrierte Klotz die drei gerahmten
Ernennungsurkunden, die hinter Böhners Schreibtisch in aufsteigender Linie
angeordnet an der Wand hingen: Studienrat, Oberstudienrat, Studiendirektor. Zum
Oberstudiendirektor hat’s wohl nicht gereicht, dachte Klotz und nahm neben Haevernick
Platz. Böhner blickte die beiden Beamten der Mordkommission Nürnberg aus zwei
müden Augen, die unter massiven Schlupflidern hervorblinzelten, nachdenklich
an.
    »Schrecklich, das mit diesem Mord. Schrecklich und auch
unerklärlich«, leitete der pensionierte Lehrer das Gespräch ein.
    »Schrecklich ja, aber vermutlich doch nicht unerklärlich«, gab Klotz
zur Antwort, »schließlich gibt es ja für alles einen Grund.«
    Der Studiendirektor a. D. blickte pikiert zur Seite.
    Plötzlich klingelte Klotz’ Handy. Escherlich war am Apparat.
    Der Presseaufruf im Fall Gummler hatte einen kleinen Fortschritt
gezeitigt. Es hatte sich eine Zeugin gemeldet, die am Samstag gegen siebzehn
Uhr einen roten Golf gesehen hatte, und zwar auf besagter Bundesstraße unweit
von Göring.
    Der Golf habe am Straßenrand gestanden, mit

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