Klotz, Der Tod Und Das Absurde
konnten sich
nicht wehren, waren durch entsprechende Narkotika oder Drogen betäubt worden.
Beide Fälle wiesen ein absurdes, kurioses Element auf. Warum diese Absurdität?
Sollte das so etwas wie Kunst sein? Oder sollte die Inszenierung auf etwas
anderes hinweisen? Wieder war Klotz bei der Frage nach Sinn und Motiv
angekommen. Rache und der Mord ohne Motiv. Einzig diese beiden Möglichkeiten
kamen als Triebfeder in Frage.
Wenn es Rache war, dann würde die Vergangenheit der Opfer irgendwie
Aufschluss geben müssen.
Einen Mord ohne Motiv aufzuklären war ein beinahe sinnloses
Unterfangen. In einem solchen Fall konnte nur ein glücklicher Zufall zum Mörder
führen.
Die nächsten Schritte, die nun unternommen werden mussten, würden
darin bestehen, Verbindungen zwischen den Opfern zu suchen. Gab es eine oder
mehrere Personen, die sowohl Bogendorfer als auch Gummler gekannt hatten?
Klotz hatte den Eindruck, dass endlich Schwung in die Sache gekommen
war. Der Stillstand war vorbei, der Bann war ein für alle Mal gebrochen, das
spürte er.
Ich werde dich finden, Freundchen. Koste es, was es wolle. Ich
werde dich finden, und dann werde ich dich fragen, warum du das getan hast, und
dann werde ich dich einsperren.
»Da unten im Wasser ist es passiert, Herr Kommissar.«
Der Mann in dem kleinen Häuschen auf der Fähre war so um die sechzig,
und außer dem blauen Overall war alles an ihm grau. Graue Mütze, graue Brille,
grauer Dreitagebart. Sogar die Augen waren grau. Klotz sah den Stapel
Rätselhefte, der auf einem kleinen Tisch neben der Thermoskanne stand. Dieser
Job mochte wohl nur Außenstehenden exotisch erscheinen. In Wirklichkeit musste
das ganz schön eintönig sein, den lieben langen Tag nichts anderes zu tun, als
von einem Flussufer zum anderen zu fahren.
»Und sonst ist Ihnen nichts aufgefallen? Irgendetwas, was Sie
vielleicht vergessen haben könnten?«
»Herr Kommissar. Sie sind jetzt schon der dritte Polizist, der mich
zu dem Fall befragt. Ich will nicht unhöflich sein, aber …«
»Ja. Ist schon klar.«
Klotz sah sich um. Der Gegend haftete etwas Verschlafenes, etwas
Märchenhaftes an. Der Wald auf den Berghängen zuseiten des Flusstals und die
Ruine, die am gegenüberliegenden Ufer in den Himmel ragte und irgendwie
bedrohlich wirkte. Er drehte sich um und wollte zum Wagen zurück, in dem
Haevernick auf ihn wartete.
»Ich krieg noch zwei Euro fünfzig von Ihnen.«
Klotz bezahlte und entfernte sich. Hätte er sich denken können, dass
das mit dem Fährmann nichts bringen würde. Aber trotzdem. Sicher ist sicher.
»Das war wohl nichts«, erstattete er seiner Kollegin Bericht, als
die Landungsklappe der Fähre die Straße berührte.
Eine neue, blitzblanke Schranke gab den Weg frei. Im Rückspiegel
erschien der Fährmann, der das Zeichen zum Losfahren gab, und der Wagen fuhr
an.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Haevernick.
»Wenn wir schon mal hier sind, dann lass uns mal kurz die Ruine da
oben anschauen«, entschied der Hauptkommissar.
Er hatte Haevernick in der Burgschänke zurückgelassen.
Nachdem er einige sandsteinerne Torbogen durchquert hatte, musste er
verschnaufen. Der Boden war lehmig, und er war froh, dass er nicht ausgerutscht
war. Schließlich betrat er den östlichen Turm und stieg nach oben.
Das einzige Geräusch war das Flattern der Fahne im Wind. Plötzlich
hatte er weiche Knie. Warum zum Teufel war er nur auf diesen Turm gestiegen, er
wusste doch um seine Höhenangst. Wem wollte er etwas beweisen? Verdrängte
Bilder schossen ihm durch den Kopf, bruchstückhaft, bedrohlich. Sommer,
Freibad. Er als Zwölfjähriger auf diesem Fünfmeterturm und hinter ihm der
Vater: Jetzt musst du springen! Die
Leute unten am Beckenrand, die erwartungsvoll zu ihm hochsahen. Und er sah
hinunter. Ihm war schwindlig und schlecht gewesen. Hatte den Rückzug
angetreten. In die Augen des Vaters gesehen. Dieser Blick. Der gleiche Blick,
dem er Jahrzehnte später wieder begegnet war. An Vaters Sterbebett. Du
bist nichts, du kannst nichts!
Klotz atmete tief ein, hielt sich mit beiden Händen an der Brüstung
fest und sah hinunter. Heute nicht, Vater! Heute schaffe ich es! Aber
springen werde ich nicht. Nicht für dich!
Er sah den Fluss, die Anlegestellen auf beiden Seiten. Mondfeld
jenseits, Stadtprozelten diesseits.
Ihm fielen die parallel verlaufenden Bahnlinien auf, und er musste
daran denken, was er mit Haevernick während der Fahrt besprochen hatte: Grenze,
Grenzverletzung,
Weitere Kostenlose Bücher