Klotz, Der Tod Und Das Absurde
ihren Rehaugen an, und die Frage begann sich
zu erübrigen.
Sie hatten noch nicht einmal die Hälfte ihrer Zigaretten geraucht,
als die obligatorische Frühlingsrolle eintraf. Der Kellner fragte, ob alles zu
ihrer Zufriedenheit sei, und Klotz stellte wieder einmal fest, dass man in asiatischen
Restaurants wesentlich zuvorkommender bedient wurde als in solchen, die von
Europäern geführt wurden. Litten chinesische Ober auch manchmal an irgendeiner
Verstimmtheit oder tief sitzendem Ärger? Er konnte sich das kaum vorstellen.
Und wenn es so war, dann verfügten diese Menschen offensichtlich über die
bemerkenswerte Fähigkeit, sich nicht das Geringste anmerken zu lassen. Davon
konnten sich die Menschen der westlichen Zivilisation durchaus mal ein
Stückchen abschneiden. Dass er sich in diesem Zusammenhang ruhig auch an seine
eigene Nase fassen durfte, war ihm bewusst.
Während er auf der Toilette vor dem Spiegel gestanden und überlegt
hatte, ob er sie fragen sollte, wie es um seine Attraktivität bestellt war,
hatte sie die Kerzen auf dem Fensterbrett und zuseiten des Bettes angezündet.
Klotz, der den Schein wahren wollte, bediente die Klospülung und wusch sich die
Hände.
Er fühlte sich wie ein unbeholfener vierzehnjähriger Schuljunge, als
er die Tür zum Wohnzimmer öffnete und sah, wie sich Melanie in der Mitte des
Raumes zur Musik bewegte. Er wusste nicht, was er machen sollte. Am liebsten
hätte er eine geraucht oder ein Bier getrunken, so etwas konnte er gut. Aber
sie kam auf ihn zu, fasste ihn bei den Händen und zog ihn an sich. Dann fuhr
sie sich durch ihr langes schwarzes Haar, legte ihre Arme um seinen Oberkörper
und den Kopf auf seine Brust. Er roch das Wachs der Kerzen, das sich mit dem
Duft ihres Haares vermischte. Bevor ihm schwindlig wurde, legte er seine Hände
um ihre Taille.
25. Dezember
Klotz lächelte. Er lächelte, weil er sich wundern musste, wenn
er an den gestrigen Heiligen Abend zurückdachte. Alles war harmonisch und ganz
ohne Zwischenfälle verlaufen. Beinahe wieder verdächtig, wie er fand. Seine
Mutter hatte ihn freundlich am Bahnhof empfangen, sie waren nach Hause
gefahren, hatten gemeinsam das Essen angerichtet und dabei einer Radiosendung
zum Thema »Weihnachten in Grönland« gelauscht, die auch seine Zustimmung
gefunden hatte. Selbst die Bescherung hatte ihn nicht ärgerlich werden lassen.
Zum ersten Mal hatte ihm seine Mutter nicht irgendwelche weißen Hemden oder
rosa gemusterten Krawatten geschenkt, sondern einen schlichten Umschlag
überreicht, in dem ein Gutschein über hundert Euro für Kleidung gesteckt hatte.
Endlich hatte sie begriffen. Besonders hatte er sich über das fränkische
Kochbuch gefreut, auch wenn es seinen Diätplänen widersprach.
Während die Mutter jetzt im Esszimmer den Tisch für den
Nachmittagskaffee deckte, saß er im Wohnzimmer auf einem alten Klavierstuhl,
der unter seinem mächtigen Gesäß knarzende Geräusche von sich gab. Er sah auf
das ausgedruckte Papier, das auf seinem Schoß lag und das die Ausbeute einer
morgendlichen Internetrecherche darstellte. Wie konnte man das, was dort über
die Geschichte und Bedeutung von Pyramidenbauten stand, auf den Mörder und
dessen Taten beziehen?
Zunächst einmal waren Pyramiden etwas, das für zeremonielle Zwecke
geschaffen worden war. Ein Zeremoniell war etwas Öffentliches. Der Mörder
wollte also Öffentlichkeit. Ein Publikum. Folglich musste er eine Botschaft
haben, die er seinem Publikum mitteilen wollte.
Klotz versuchte, sich in die Perspektive des Mörders hineinzudenken.
Und plötzlich wurde ihm klar, wer das Publikum sein musste: Er selbst, Klotz,
war gemeint. Vielleicht nicht nur. Vielleicht auch sein Ermittlerteam oder der
Polizeiapparat als Ganzes. Sie waren die Zuschauer in diesem skurrilen Drama
und er, der Mörder, führte ein gut durchkonstruiertes Stück auf.
Bald merkte er, dass ihn dieses Bild nicht wirklich weiterbrachte,
aber es verschaffte ihm zumindest eine gewisse Klarheit. Wohin diese Klarheit
führen würde, war ihm zwar ein Rätsel, aber er hatte dennoch den Eindruck, ein
unmerkliches Stück vorwärtsgestoßen sein. Der Serienmörder, den sie suchten,
hatte einen Hang zum Theatralischen.
Klotz las weiter in den Aufzeichnungen: Die Funktion von Pyramiden.
Also. Sie stellten außerdem einen Ort für religiöse Akte dar. In ihnen wurden
Pharaonen begraben, sie waren Stätten des Todes.
Dass ein Mord etwas mit Tod zu tun hatte, war wohl mehr als eine
Binsenweisheit, das
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