Klotz, Der Tod Und Das Absurde
Körpers, riss ein Loch in
den Nadelstreifenmaßanzug und das darunter befindliche Hemd, um sich am Herzen
vorbeizuschieben und die Wirbelsäule zu brechen.
Der alte Cavaignac saß immer noch auf seiner grünen Parkbank.
Man vernahm ein plötzliches Wasserrauschen, wie bei einem Rohrbruch,
und wie von ferne bemerkte er wohl, dass der Wagen von dem zerstörten Grabmal
auf einen nebenstehenden Hydranten gekippt war. Doch die Verwunderung darüber,
dass man mit vierundneunzig noch Dinge erleben konnte, die man sich nicht in
seinen schlimmsten Alpträumen ausgemalt hätte, ließ ihn in einer Art erstarrten
Staunens verharren.
Dass er noch lebte, realisierte Monsieur Cavaignac erst, als die
Glut seiner Zigarette die ledrige Haut zwischen Zeige- und Mittelfinger der
rechten Hand langsam zu verbrennen begann.
27. Dezember
Ron Lackner schien nicht nur in sich hinein-, sondern auch ganz
ungeniert aus sich herauszugrinsen. Klotz, der sich angesichts von Lackners
Lächeln irgendwie unwohl fühlte, fragte sich, wer oder was für die Hochstimmung
des Chefpathologen wohl verantwortlich sein könnte. Er würde doch nicht etwa
mit seiner Kollegin Lilly Hammer etwas angefangen haben? Oder hatte er sich
eine neue Superdroge zusammengebraut, die es um ein Unendliches mehr brachte
als dieser trübselige Alkohol?
Der Hauptkommissar versuchte, sich nicht länger mit einer sinnlosen
Motivsuche für das Grinsen des ersten Gerichtsmediziners aufzuhalten, und sah
nacheinander in die Gesichter der Mitglieder seiner Ermittlungsgruppe.
Laanschaf bemühte sich wieder einmal vergeblich um ein freundliches
Gesicht, obwohl ein solches durchaus angebracht gewesen wäre: Aus irgendeinem
Grund war seine Kopfhaut sichtlich mattiert. Der schwache Glanz war absolut im
Rahmen des Normalen, fand Klotz, und er stellte fest, dass Menschen doch in der
Lage waren, sich zu verändern, auch wenn sie das vierzigste Lebensjahr
überschritten hatten. Das macht einem dann doch irgendwie Hoffnung, dachte er
und strich über seinen Bauch, der über die Weihnachtsfeiertage nicht kleiner
geworden war.
Haevernick saß gerade auf ihrem Stuhl und machte einen
disziplinierten Eindruck. Waren das Ringe unter ihren Augen, oder ließ nur das
Licht sie so unvorteilhaft erscheinen?
Escherlich, der sich das letzte Stück eines Elisenlebkuchens in den
Mund schob, sah irgendwie völlig zerstört aus. Dabei waren die blauen Flecke um
die Nasenpartie schon beinahe vollständig verblasst.
An Anwärter Zebisch hingegen gab es nicht das Geringste zu bemäkeln.
Neben einer aufgeschlagenen Mappe in einem diskreten Grauton lag ein schwarzer
Stift. Als die Tür geöffnet wurde, ergriff er ihn wie auf Kommando.
Während Gulden und Huber sich nach vorn in Richtung Tafel bewegten,
sah Klotz noch einmal zu Lackner hinüber, der irgendwelche bizarren Kritzeleien
auf dem Papier, das vor ihm lag, fabrizierte. Sollten das etwa anatomische
Zeichnungen werden? Sah entfernt wie eine weibliche Brust aus. Der
Gerichtsmediziner, der den ratlosen Blick seines Kollegen offenbar bemerkt
hatte, fragte Klotz, ob er schon die Zangenberg gesehen habe. Klotz schwieg. Er
verstand den Zusammenhang nicht.
»Meine Damen und Herren, ich hoffe, Sie hatten schöne Feiertage. Ich
begrüße Sie alle ganz herzlich«, eröffnete Staatsanwältin Gulden die Sitzung.
Zunächst fassten Haevernick und Klotz die Ergebnisse ihrer
gemeinsamen Recherche vor den Weihnachtstagen zusammen.
Die Frage, die sich zwangsläufig aus der neuen Situation ergab, war,
wie es mit den Ermittlungen weitergehen würde. Alle waren sich einig, dass
jeder Schritt in der künftigen Ermittlungsarbeit auf ein schnelles Aufgreifen
des Täters abzielen müsse, da man es sehr wahrscheinlich mit einem Serienmörder
zu tun hatte und eventuelle weitere Morde auf jeden Fall zu verhindern waren.
Irgendwelche Nebenkriegsschauplätze waren deshalb erst einmal außer Acht zu
lassen, so verführerisch sie auch erscheinen mochten.
Das bedeutete, dass Klotz’ frühere Fälle unter die Lupe genommen
werden mussten. Möglicherweise war der Täter dort irgendwo ausfindig zu machen.
Außerdem musste Bildhauermeister Fröhling schnellstens zu einer Vernehmung ins
Präsidium geschafft werden. Schließlich war er der Einzige, der den Mörder von
Angesicht zu Angesicht gesehen hatte.
An dieser Stelle der Diskussion schaltete sich Escherlich ein. Es
war dieser Name gewesen, den Klotz ihm gegenüber am Telefon erwähnt hatte:
Patrick Fröhling. Irgendwie hatte
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