Klotz, Der Tod Und Das Absurde
das
Schweigen endlich brach.
»Du, sag mal. Was ist das mit diesem Zettel mit deinem Namen und
dieser Adresse drauf? Rochuskirchhof. Sollten wir da nicht vorbeischauen?«
»Vielleicht.«
»Vielleicht?«
»Ich kenne die Adresse. Sogar ziemlich gut.«
»Und?«
»Der Rochuskirchhof 17 ist ein Friedhof.«
Nachdem Klotz den Wagen vor der Friedhofsmauer geparkt hatte und aus
dem Wagen gestiegen war, machte er eine abwehrende Geste, als er sah, dass
Haevernick ihm folgen wollte.
»Schon dich lieber. Ich kann das alleine machen.«
Er kannte diesen Friedhof ganz genau. Familie Klotz hatte hier ein
Familiengrab, schon seit beinahe hundert Jahren. Vor zwei Jahren hatten sie
hier seinen Vater beerdigt. Er brauchte nicht lange zu suchen.
Als er das Grab erblickte, durchfuhr ihn der Schreck. Er erkannte
dieses geviertelte Quadrat wieder, das auf den Auftrag für Bildhauermeister
Fröhling gezeichnet und auch auf den Abschiedsbriefen von Gummler und
Bogendorfer zu finden war. Mit weißer Farbe war das Pyramidensymbol auf die
steinerne Grabplatte gemalt. Die beiden Linien der Diagonalen innerhalb des
Quadrats kreuzten sich genau an der Stelle, wo »Reinhard Klotz« stand. Als
würden sie ihn durchstreichen, diesen Namen, dachte Klotz. Jemand will ihn
vernichten, überlegte er weiter. Ihm fielen wieder die Akten Lohofer und Morvan
ein. Da bestand zweifellos ein Zusammenhang. Und er ärgerte sich, dass er die
Akten nicht mehr hatte finden können, nachdem seine Mutter bei ihm geputzt
hatte.
Eines allerdings gab ihm Rätsel auf: Warum stand sein Name auf dem dubiosen Zettel und nicht der seines
Vaters? Was hatte er, Werner Klotz, mit dieser Geschichte zu tun? Über die
Botschaft des Mörders war er sich im Klaren: Er wollte ihn auf diesem Friedhof
sehen, im kalten Grab seiner Familiengruft. Das hatte er schon verstanden. Aber
warum nur?
Klotz war zehn Minuten zu spät. Daran war nur dieser Traum schuld
gewesen. Und seine Erschöpfung, die dem Traum vorausgegangen war. Zum Glück war
er noch einigermaßen rechtzeitig wieder aufgewacht. Als er realisiert hatte,
dass er in der Badewanne eingeschlafen war, war er sofort aus dem Wasser gesprungen
und froh darüber, dass er nicht ertrunken war. Es kam nicht selten vor, dass so
etwas passierte. Das wusste er aus eigener Anschauung.
Er ließ seinen Blick durch das gut besuchte Lokal schweifen, konnte
Melanie aber nirgends entdecken. Ein Kellner, der Klotz’ Ratlosigkeit bemerkt
zu haben schien, kam auf ihn zu und fragte, ob er ihm helfen könne. Klotz
antwortete, und der Kellner, dessen Gesicht ein immerwährendes Lächeln
anhaftete, führte ihn an den Tisch, der auf den Namen Maus reserviert worden
war.
Der warme Blick der dunklen Augen, der ihn empfing, spülte den
ganzen Ärger und Frust der letzten Tage aus seiner geschundenen Seele. Klotz
musste lächeln, und seine Augen strahlten. Diese Frau war die reinste
Psychohygiene, dachte Klotz. Machte, was kaputt war, mit einem Schlag wieder
heil. Vielleicht würde sie ihm endlich doch noch den wahren Sinn des
Weihnachtsfestes offenbaren, wer weiß.
Der Kellner, der ihn zu Melanie geführt hatte, stand schon wieder an
ihrem Tisch und reichte die Speisekarten.
»Wartest du schon lange?«, fragte Klotz.
»Ein paar Minuten«, antwortete Melanie.
»Tut mir leid. Hatte einen anstrengenden Tag.«
Mehr wollte er zu diesem Thema nicht sagen. Er wusste aus Erfahrung,
dass ein Polizist unter keinen Umständen die Schwierigkeiten, die sein Beruf
unweigerlich mit sich brachte, in irgendeine zwischenmenschliche Beziehung
einbringen durfte. Es sei denn, er wollte dieser Beziehung ein Ende setzen. Und
die mit Melanie hatte ja noch gar nicht begonnen. Klotz hatte nicht vor, dieses
zarte Pflänzchen gleich im Keim zu ersticken.
Melanie hatte sich für die chinesische Fastenspeise entschieden, und
Klotz bestellte das, was er immer aß, wenn er zum Chinesen ging: Hähnchen mit
Ananas süß-sauer.
Sie stießen mit dem Pflaumenwein an, und Melanie fragte, ob er eine
Zigarette wolle. Sie erzählte von ihrer Familie, von ihrem Pferd und dem
Skifahren im Bayerischen Wald. Klotz, dem jede sportliche Betätigung im Laufe
der Jahre abhandengekommen war, tat so, als würde er interessiert zuhören.
Insgeheim versuchte er Melanies Alter zu schätzen. Ihm war klar, dass sie
mindestens zehn bis fünfzehn Jahre jünger sein musste als er, und er stellte
sich die Frage, ob so etwas sinnvoll wäre. Etwas mit so großem
Altersunterschied. Sie sah ihn mit
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