Klotz, Der Tod Und Das Absurde
Frau Schulze … Bitte frag nicht. Ich werde dir das schon noch alles
erklären. Tu bitte einfach das, worum ich dich bitte … Der Bericht? Der kann
warten … Was hat der Herr Einsatzleiter gesagt? … Da scheiß ich drauf! Ich nehm
das auf meine Kappe, klar? … Also, du musst da unbedingt raus. Sprich mit der
Frau. Sie braucht unsere Hilfe, und zwar sofort. Am besten du schmeißt die
Flackerbirne aufs Dach … Nicht genehmigter Einsatz? Hör mal, du tust jetzt, was
ich sage. Irgendwann bin ich wieder
Einsatzleiter, das ist dir hoffentlich klar … Gut. Den Leuten in der Zentrale
erzählst du einfach was von einer Autopanne. Und kein Wort zu irgendjemandem.
Das Ganze muss unter uns bleiben, hörst du? … Okay. Ich werd dir das nicht
vergessen. Mach’s gut.«
Er warf seine Kippe in den Rinnstein und sah auf die Uhr. Inzwischen
war es halb zwei, und beim Pizzaservice Charlie Chaplin wartete eine
angebrochene Pizza con Würstel auf ihn. Auch wenn die Pizza schon kalt wäre,
auf sie verzichten wollte er nicht.
Gerade als er den Laden betrat, war die indisch aussehende Frau
dabei, seinen Tisch abzuräumen. Klotz erhob Einspruch und bat die Frau, das
Essen für ein paar Minuten noch mal in den Ofen zu schieben.
Als er endlich wieder auf dem weißen Plastikstuhl saß, bestellte er
sich ein Bier. Griff nach der Zeitung. Die beste Zerstreuung lieferten diese
kleinen vermischten Nachrichten: Er las von einem arbeitslosen Mann, der eine
Woche lang unbemerkt tot in seiner Wohnung gelegen hatte. Erst als bei einer
Zwangsvollstreckung die Wohnung geöffnet worden war, hatte man ihn entdeckt.
Eine sechsundzwanzigjährige »Mutter« hatte ihr Neugeborenes aus dem zehnten
Stock eines Hochhauses geworfen und versucht, die Tötung ihrem Freund
anzuhängen. In Almoshof war eine Kuh ausgebrochen und hatte Vorgärten,
Gartenzäune und mehrere Autos niedergetrampelt.
Wenn man das alles so liest, dachte Klotz, dann weiß man wieder,
warum die Zeitung ein wahrer Segen ist. Sie teilt einem mit, was man sowieso
schon die ganze Zeit wusste: Die Welt ist durch und durch schlecht, und eine
Aussicht auf Besserung gibt es nicht.
Klotz nahm einen kräftigen Schluck von dem Bier, das gerade
angekommen war. Dann las er weiter.
Nach anderthalb Minuten sah er auf, starrte mit weit aufgerissenen
Augen durch die dreckige Scheibe apathisch nach draußen, durch parkende,
vorbeifahrende Autos hindurch. Konnte das wahr sein, was er da gerade gelesen
hatte? Er steckte seine Nase wieder in die Zeitung, sah wieder auf, faltete die
Zeitung zusammen, steckte sie ein. Stand auf. Warf einen Zwanzigeuroschein auf
die Theke und rannte aus dem Laden, ohne auf das Wechselgeld zu warten.
Als er auf dem Gehweg stand, blickte er aufgeregt immer wieder nach
links und rechts. Er erspähte ein Taxi, trat ein Stück auf die Fahrbahn. Der
Wagen kam näher, Klotz streckte die Hand aus, machte einen Schritt nach vorn,
in die Fahrbahn hinein. Der Wagen bremste, die Reifen quietschten. Der Fahrer
warf Klotz einen Blick zu, der Unverständnis, Missfallen und Wut ausdrückte.
Bevor der Typ explodieren konnte, sprang Klotz zur Beifahrertür und riss sie
auf.
»Zum Flughafen! Sofort!«
Er hatte sogar einen Fensterplatz ergattert. Klotz sah nach draußen
und wunderte sich, dass da unten alles so klein und unbedeutend aussah. Dann
fragte er sich, ob er das war, der hier so müffelte, und ließ sein Kinn langsam
auf den oberen Brustbereich fallen, sodass sein Doppelkinn gut zur Geltung kam.
Neigte den Kopf etwas zur Seite, um den Bereich um seine rechte Achselhöhle
abzuschnuppern. Kein Zweifel, er roch nach altem, ranzigem Schweiß. Nun ja, er
hatte natürlich ganz schön transpiriert, als er da am Flughafen rumgerannt war,
um so schnell wie möglich noch einen Flug zu kriegen.
Er warf einen kurzen Blick zu seiner Nachbarin, einer attraktiven,
dunkelhaarigen Frau, die in einem Armani-Nadelstreifen-Hosenanzug steckte. Kurz
bevor der Flieger gestartet war, hatte die Dame ein Fläschchen Eau de Toilette
aus ihrer Handtasche geholt, um Brust- und Halsbereich damit einzudieseln. Ob
das ein dezenter Hinweis hatte sein sollen? Die Frau hatte Klotz bisher noch
keines Blickes gewürdigt, und der Flug dauerte inzwischen schon fast eine
Dreiviertelstunde.
Klotz sah nach draußen. Er hatte gehofft, ein paar Sonnenstrahlen
erheischen zu können. Stattdessen zogen graue Nebelschwaden vor dem Bullauge
vorbei. Ab und zu konnte er eine Düse und die dazugehörige Tragfläche
aufblitzen
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