Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Klotz, Der Tod Und Das Absurde

Titel: Klotz, Der Tod Und Das Absurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Klier
Vom Netzwerk:
sehen, das war’s dann aber auch schon.
    Er sah wieder auf den kleinen Bildschirm, der sich etwa einen halben
Meter vor ihm befand. Dort war eine Übersichtskarte zu sehen, die das Gebiet
zwischen Nürnberg und Paris zeigte. Man konnte ein weißes blinkendes Flugzeug
erkennen, das sich gerade in der Nähe von Reims befand. Außerdem wurden Höhe
und Außentemperatur angezeigt. Der Pilot gab bekannt, dass er nun seinen
Landeanflug beginnen würde. Wegen des regnerischen Wetters sei mit kleineren
Turbulenzen zu rechnen.
    Während die Stewardessen damit begannen, die leeren Becher und
Tabletts einzusammeln, spürte Klotz plötzlich ein leichtes Ziehen in der Stirn,
das ihn an seinen festsitzenden Schnupfen erinnerte.
    Um sich abzulenken, zog er die Zeitung aus seiner Innenseite und sah
sich noch einmal den Artikel an, den er bei »Charlie Chaplin« gelesen hatte:
    Kurioser Todesfall.
    Paris (dpa) – Ein
skurriler Todesfall ereignete sich am zweiten Weihnachtsfeiertag im achtzehnten
Bezirk von Paris. Der Geschäftsmann Sven H. fuhr gerade über eine Brücke, als …
    Das Ziehen in der Stirn war von einem drückenden Schmerz abgelöst
worden, Klotz steckte die Zeitung wieder ein und schloss die Augen. Je weiter
das Flugzeug sank, desto stärker wurden die Schmerzen. Er warf einen kurzen
Blick auf die Höhenanzeige und sah, dass sie bereits auf dreitausend Metern
waren.
    Es begann an den Schläfen und zog sich dann in Richtung Nasenwurzel.
Es fühlte sich an, als würde jemand mit Tausenden von winzigen Nadeln immer
wieder in seinen Kopf hineinstechen, und die Anzahl der Nadeln nahm von Sekunde
zu Sekunde zu.
    Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er winkte einer Stewardess.
Die Flugbegleiterin sah Klotz ein paar Sekunden ratlos ins Gesicht. Dann fragte
sie: »Haben Sie Schnupfen?«
    »Ja, vielleicht«, Klotz bemerkte, dass er weinen musste, »ich weiß
es nicht«, quetschte er zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Die Stewardess riss den Notfallkasten, der sich über ihrem Kopf
befand, auf. Griff hinein. Zog zwei Plastikampullen hervor. Knickte deren Köpfe
ab.
    »Nehmen Sie das! Schnell!«
    Nach ein paar Minuten ließ der Schmerz langsam nach. Klotz wischte
sich mit einem zerfledderten Taschentuch Tränenflüssigkeit und Schweiß vom
Gesicht.
    »Der Druckausgleich«, sagte die Stewardess, »wenn Sie Schnupfen
haben, funktioniert der Druckausgleich nicht. Sie hätten eigentlich gar nicht
fliegen dürfen.«
    »Es war ein …«, Klotz spürte plötzlich einen unsanften Ruck, »…
Notfall«.
    Die Stewardess griff schnell nach einer Lehne. Dann holperte das
Flugzeug und bremste scharf ab. Die Fluggäste klatschten, und Klotz wischte
sich die Tränen aus den Augenwinkeln. Endlich waren sie gelandet.
    Klotz trat auf den kleinen Balkon seines Hotelzimmers und drehte
sich eine Zigarette. Er spürte den Unterschied der Luft, die wärmer und milder
war. Auch die Geräusche, die Rufe der vielen Menschen und das Röhren der
Motorroller erschien ihm näher, irgendwie intensiver.
    Er steckte sich seine Zigarette an und sah in die Richtung, wo man
den hell erleuchtenden Eiffelturm sah, und wünschte sich, er würde diesen
Ausblick unter anderen Umständen genießen können. Er blickte durch eine
Häuserflucht, die sich direkt vor ihm auftat, in eine enge,
kopfsteingepflasterte Gasse, in der ein schwarzer herrenloser Hund gerade an
eine Straßenlaterne pisste und sich einen Dreck um die vorbeilaufenden Menschen
scherte.
    Das Leben konnte so einfach sein, dachte Klotz, so leicht und ohne
Widerstände. Und für den kurzen Moment von zwei, drei Zügen an seiner Zigarette
geriet er ins Schwelgen und träumte von einem Leben, das ohne Brüche und Niederlagen
verlief. Dass sein Leben weit davon entfernt war, das fiel ihm spätestens dann
wieder ein, als er an seine überstürzte Reise vom Flughafen in diese Absteige
hier dachte.
    Nach seiner Ankunft am Flughafen Charles de Gaulle hatte er sich von
seinen letzten zehn Euro eine Fahrkarte gekauft und war aufs Geratewohl
Richtung Zentrum gefahren. Als die Bahn nach einer guten halben Stunde an einer
Station haltgemacht hatte, die zu einem großen Bahnhof gehörte, war er
ausgestiegen. Er hatte ja keine Ahnung, wo sich der achtzehnte Stadtbezirk
befand, glaubte aber, dass ein Bahnhof kein schlechter Ausgangspunkt sei. Und
er hatte recht behalten. Nachdem er zu seiner Freude festgestellt hatte, dass
seine EC -Karte auch hier in
Frankreich funktionierte, war er in eines der

Weitere Kostenlose Bücher