Klotz, Der Tod Und Das Absurde
Taxis, die vor dem
Bahnhofsgebäude auf Kundschaft warteten, eingestiegen und hatte dem Fahrer das
Wort »Montmartre« zugerufen. Trotz eines Volkshochschulkurses, den er vor
vielen Jahren absolviert hatte, wollte ihm das französische Wort für Friedhof
nicht einfallen. Durch eine Geste, die Klotz für international hielt, hatte er
dem Fahrer klargemacht, dass er nicht viel Geld für ein Hotel ausgeben wollte.
Er hatte einfach seine beiden Hosentaschen umgekrempelt. Der Fahrer hatte
gelacht, und dann war er ins Rotlichtviertel gefahren, in eine vom
Hauptgeschehen abseitsliegende Seitenstraße eingebogen, und schließlich war
Klotz vor einem Hotel, das sich »Le Surcouf« nannte, ausgestiegen.
Nachdem er eingecheckt hatte, war er schnurstracks zum Friedhof gelaufen,
der nicht weit entfernt lag. Leider musste er feststellen, dass der Friedhof
schon geschlossen hatte. Er würde also bis morgen warten müssen.
Klotz wäre der Letzte, der sich über ein heruntergekommenes Hotel
beschwerte. Die abblätternden Tapeten, die Brandlöcher auf dem PVC -Boden störten ihn herzlich wenig.
Hauptsache, es gab fließend Wasser und die Möglichkeit, sich warm zu duschen.
All das war hier kein Problem, und bei einem Preis von zwanzig Euro (ohne
Rechnung, versteht sich) und dieser wunderbaren Aussicht durfte man nun
wirklich nicht meckern.
Als er der Glut seiner Kippe nachsah, die den Gesetzen der
Gravitation folgend lotrecht Richtung Straßenbelag fiel, erinnerte er sich
wieder an Melanie und seine Verabredung mit ihr heute Abend. Scheiße. Das hatte
er ganz vergessen. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und stellte fest,
dass es kurz vor halb sieben war. In einer halben Stunde hätte er an Melanies
Wohnungstür klingeln müssen, am besten mit einem kleinen Blumenstrauß in der
Hand, als Entschuldigung für das, was er sich in der Nacht zuvor geleistet
hatte (beziehungsweise für das, was er nicht geleistet hatte), und als Zeichen
für eine Art Neuanfang oder den Willen zur Weiterführung einer noch frischen
Beziehung.
Klotz überlegte, was er machen sollte. Sein Handy funktionierte
nicht mehr. Als er es nach dem Flug wieder hatte einschalten wollen, hatte er
feststellen müssen, dass der Akku am Ende war. Und natürlich hatte er sein
Ladegerät nicht dabei. Er entschloss sich, nach draußen zu gehen, er wollte
sich sowieso ein wenig in der Gegend umschauen. Dabei könnte er ja einen
öffentlichen Fernsprecher aufsuchen und Melanie anrufen.
30. Dezember
Während er auf dem Weg zum commissariat de police gewesen war, hatte er unentwegt an das missratene
Telefonat mit Melanie denken müssen. Anfangs hatte er sich gar nicht getraut,
ihr zu beichten, dass er sich in Paris befand. Hatte etwas von einer
Magenverstimmung gefaselt und dass er das Bett würde hüten müssen. Aber nachdem
Melanie im Hintergrund eine französische Polizeisirene und Fetzen einer fremden
Sprache mitbekommen hatte, war sie stutzig geworden, und Klotz, der
normalerweise die anderen zum Gestehen brachte, war mit der Wahrheit
rausgerückt. Die Folge war gewesen, dass Melanie sich in Rage geredet und
schließlich aufgelegt hatte. Irgendwie war er selten dämlich in
Beziehungsangelegenheiten. Aber das Kind war nun einmal in den Brunnen
gefallen. Das war jetzt auch nicht mehr zu ändern.
Lieutenant Jean-Marc Laurent, schwarzhaarig, schlank, Ende zwanzig,
bestach vor allem durch sein Lächeln, das auf geheimnisvolle Weise eine
unerschütterliche Ruhe und Überlegenheit ausstrahlte. Klotz war von dem jungen
Polizisten beeindruckt. Nicht nur dessen Lächeln hatte es ihm angetan, auch die
Tatsache, dass Laurent ganz passabel Deutsch sprach, empfand Klotz als sehr
vorteilhaft.
Von so einer Uniform könnte sich die deutsche Polizei mal eine
Scheibe abschneiden, hatte Klotz als Erstes gedacht, als er Laurent auf der
Wache an der Place Jules Joffrin begegnet war. Irgendwie wirkte blau besser als
grün, strahlte mehr Autorität aus. Dazu kamen die kantigen Schulterklappen in
Schwarz und Gold und eine hohe, topfförmige Schirmmütze, die der Erscheinung
des französischen Polizisten etwas Militärisches gab. Erinnert irgendwie an die
Fremdenlegion, fiel Klotz auf.
Sie standen auf dem zentralen Platz des Friedhofs von Montmartre und
inspizierten die unübersehbaren Spuren des Unfalls. Das türkisfarbene Geländer
der Brücke, die über den Friedhof führte, war an der Durchbruchstelle
notdürftig durch rot-weiße Holzplanken gesichert worden. Weiter unten, direkt
vor
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