Klotz, Der Tod Und Das Absurde
(?), Inszenierung (?)«
Mehrmals ließ er den Stift um die eben notierten Begriffe kreisen.
Dann zog er einen Pfeil hinüber in die andere Spalte, zum Namen Morvan. Machte ein Ausrufezeichen neben die Pfeilspitze.
Elisa Morvan. Angeblich hatte sie sich umgebracht. Und wenn nicht?
Wenn dieser Selbstmord auch nur eine Inszenierung gewesen ist? Aber von wem?
Mit dem Obduktionsbericht in diesem Fall war sein Vater betraut gewesen. Wieder
beschlich Klotz ein ungutes Gefühl. Er wollte nicht glauben, dass sein Vater
einen Mord zum Suizid erklärt hatte. Wie man es auch drehen und wenden wollte.
Es blieb die Frage nach dem Täter. In den aktuellen Fällen und in dem Fall von
1988.
Wenn seine Überlegungen halbwegs zutrafen, dann war das Motiv der
Rache für die aktuellen Fälle Bogendorfer und Gummler sinnvoll. Aber warum
wollte der Mörder ihn tot sehen?
Er kehrte mit seinen Gedanken zu Barnikol und Kaumann zurück. Zwei
Polizisten, die dem Computer erst seit heute bekannt waren. Die Frage war doch,
warum sie erst jetzt in der Datei auftauchten. Und wer hatte so viel Macht und
Einfluss, dass er so etwas bewerkstelligen konnte?
Da war ein schwer fassbarer Mörder, der sich außerhalb ihrer Reihen
befand, der Bogendorfer und Gummler auf dem Gewissen hatte. Und da war noch
etwas anderes. Etwas, was von innen kam.
Es musste jemanden in den höheren oder höchsten Rängen geben, der
die Möglichkeit hatte, zu tricksen, zu verfälschen, wie es ihm beliebte. Der
die Wahrheit mit einem Mausklick umkehren konnte.
Was war die Konsequenz? Man würde letztendlich nichts und niemandem
mehr glauben können. Keiner Spurenlage, keiner DNA ,
keiner rechtsmedizinischen Untersuchung. Nur das Faktum, dass da und dort
jemand eines unnatürlichen Todes gestorben war, konnte als gesichert gelten.
Insofern konnte man Fröhling vielleicht tatsächlich als Täter
ausschließen. Klotz fiel wieder dieser absurde Gedanke ein, den er gestern
gehabt hatte: Fröhling musste der Mörder
von Bogendorfer und Gummler gewesen sein, er konnte es aber nicht gewesen sein.
Absurd.
Aber nur dann, wenn man der Spurenlage glaubte. Der Fingernagel, den
Klotz am Tatort in Göring gefunden hatte, konnte auch dorthin gelegt worden
sein. Und was war mit diesem Alibi für Fröhling, das dieser Baurat aus Würzburg
plötzlich widerrufen hatte? Irgendwie kurios, dachte Klotz, und er dachte
weiter, dass er diesen Fall nur würde lösen können, wenn er alle
kriminaltechnischen und gerichtsmedizinischen Beweise außer Acht lassen würde.
Klotz dachte über die Konsequenzen für seine weitere
Ermittlungsarbeit nach. Letztendlich würde er dazu verdammt sein, wie ein
Kommissar im 19. Jahrhundert arbeiten zu müssen. Es würde unerlässlich sein,
hellseherische Fähigkeiten auszubilden, dachte er, und auf seinem Gesicht
machte sich ein sarkastisches Lächeln breit.
Doch wer sagte denn, dass der Feind keine Fehler machte? Schließlich
hatte er schon einige begangen. Und warum? Weil er zu dumm war? Weil er die
Situation falsch eingeschätzt hatte? Nein. Weil eine Größe namens Zufall gegen
ihn und für Klotz war. Manche würden es vielleicht Schicksal nennen, dachte
Klotz weiter, oder Glück.
Solange er nicht wusste, wer innerhalb des Polizeiapparats
intrigierte, würde er alles für sich behalten müssen. Das war eine logische
Konsequenz. Er musste beinahe ein bisschen schmunzeln bei dem Gedanken, dass er
allein auf sich gestellt war. Er sah schon die Überschrift vor sich:
»Hauptkommissar Werner Klotz gegen den Rest der Welt«.
Er sinnierte noch eine Weile vor sich hin. Am Ende stand sein
Entschluss fest: Er würde den Kampf bis zum Schluss durchfechten. Bis zum
bitteren Ende. Auch auf die Gefahr hin, zu verlieren.
Klotz sah in einen tristen Himmel, unter dem sich ein lang
gezogenes, fahlgelbes Gebäude hinstreckte. An einigen Stellen war der Putz von
der Fassade gefallen, und vor den Fenstern hingen eiserne Gitter. Zwischen dem
Gebäude und der Straße ragte eine gut drei Meter hohe Betonmauer auf, die mit
Stacheldraht und Glasscherbensplittern abschloss.
Zu dem Druck unter seinen Augen gesellte sich ein stechender Schmerz
in der Stirn. Er nahm ein Papiertaschentuch und schnäuzte sich, doch es wollte
nichts kommen.
Festgesetzt, festgefressen, festgefahren, dachte er, legte eine Hand
auf die Stirn und schloss die Augen. Von der Straße her hörte er das Rauschen
der Autos und dachte, dass im Winter das gleiche Geräusch doch irgendwie anders
klang. Im Sommer
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