Klotz, Der Tod Und Das Absurde
ihnen, ragten die Ruinen einer Gruft empor, um die ein Viereck aus
Absperrband gezogen worden war.
Irgendwie seltsam, dachte Klotz, der die Füße der abgerissenen
Frauenskulptur betrachtete, zu deren Seiten zwei übrig gebliebene Flügelspitzen
erkennbar waren. Da war mal ein Engel gestanden, dachte Klotz. Sieht aus, als
sei er abgehoben, dachte er weiter, in diesen verführerischen, hellblauen
Pariser Winterhimmel hinein.
Klotz sah sich die Namen auf den Grabstätten an. Auf der Gruft
rechter Hand stand: »Docteurs Mixa et Graba«, links neben dem ruinösen Grab
hatte eine Familie Couillon ihre letzte Ruhestätte. Klotz suchte nach einem
Namen auf der beschädigten Grabstätte, konnte aber keinen finden.
»Weiß man, wem das Grab gehört? Wer hier begraben ist?«
»Natürlich. Das steht alles in der Akte. Außerdem existieren Fotos,
die das Grabmal vor dem Unfall zeigen. Dies hier ist einer der berühmtesten
Friedhöfe von Paris, Monsieur Klotz. Menschen aus aller Welt kommen täglich
hierher, um die Gräber berühmter Persönlichkeiten zu besuchen.«
»Und Sie sind sicher, dass es ein Unfall war?«
»Also, wir haben den Wagen untersucht, die Leiche wurde obduziert.
Es gab keinen Anhaltspunkt, der auf einen Mord hingedeutet hätte.«
»Hm. Gut.«
»Wenn Monsieur l’Inspecteur Lust haben, könnte ich Ihnen noch etwas zeigen. Etwas aus Ihrer Heimat.«
»Warum nicht.«
Klotz folgte Laurent durch ein Meer aus Grüften, eine Ansammlung von
grauem, beinahe furchterregendem Stein. Dass da keine Blumen sind, das lässt
den Tod noch trostloser erscheinen, fuhr es Klotz durch den Kopf, und bei
näherer Betrachtung fand er, dass das eigentlich gar nicht so schlecht war.
Nach etwa fünf Minuten waren sie an einer Grabstelle angekommen, die
mit einer Büste aus weißem Marmor abschloss. Der Kopf war nach vorn geneigt,
hatte etwas Melancholisches, etwas Tieftrauriges an sich, was Klotz irgendwie
anrührte. Laurent deutete erst auf eine Leier und einen Kranz aus Rosen, die
aus dem Sockel herausgearbeitet waren, dann auf die quadratische Grabplatte. Zu
Klotz’ Verwunderung war dort ein dreistrophiges Gedicht in deutscher Sprache zu
sehen: »Wo wird einst des Wandermüden/Letzte Ruhestätte sein?« Hätte in der
Mitte des Grabes nicht ein Kranz gelegen, den die Stadt Düsseldorf ihrem
berühmten Sohn Heinrich Heine gewidmet hatte, wäre Klotz nie darauf gekommen,
vor wessen letzter Ruhestätte er sich gerade befand.
Es war wirklich ein schönes Grabmal und irgendwie so etwas wie ein
Gruß aus der Heimat, wenn man nicht gerade aus Köln kam, dachte Klotz
angesichts des Kranzes. Aber zum Glück bin ich ja Nürnberger, dachte er weiter
und schmunzelte.
Kurz bevor sie das Tor erreicht hatten, fiel ihm zufällig eine Gruft
ins Auge, die seinen Namen trug. »Klotz«, stand da in großen Lettern auf einem
Giebel, der von zwei dorischen Säulen gestützt wurde.
»Einen Moment, Monsieur le Lieutenant «, sagte Klotz zu seinem Begleiter.
Er ging zu dem Grabmal hinüber. Durch ein kleines Fenster in der Tür
blickte er ins Innere der Gruft. Jules Klotz, né le 18 juin 1886, mort le 20
juillet 1942. Und darunter: Joseph
Parrot, né le 3 décembre 1903, mort le 30 mai 1944.
In Klotz’ Kopf tat sich etwas, was man Nachdenken hätte nennen
können, nur ohne Worte. Eher mit Satzzeichen, mit Ausrufe- und Fragezeichen, um
genauer zu sein. Er blickte auf die Inschrift, die auf dem Glas in dem kleinen
Rundbogenfenster stand, durch das das Licht in die Gruft kam. Vier oder fünf
Zeichen waren da, die Klotz ziemlich sicher als Hebräisch identifizierte.
Schade, dass er das jetzt nicht lesen konnte.
»Monsieur Klotz! Gehen wir? On y va ?«
» Oui. Ich komme!«
»Wir müssen noch aufs commissariat . Die Akte.«
»Ach ja, genau. Die Akte.«
* * *
Astrid Haevernick starrte auf den Computerbildschirm. Irgendeine
Auffälligkeit müsste es doch geben, dachte sie und entschied, die Lebensläufe
und Daten von Barnikol und Kaumann noch ein viertes Mal durchzulesen. Doch da
war nichts. Nicht der geringste Anhaltspunkt. Nichts, was irgendwie auffällig
gewesen wäre. Innerhalb der deutschen Polizei gab es keine durchschnittlicheren
Karrieren als die der beiden ermordeten Beamten Barnikol und Kaumann. Aber
vielleicht war ja gerade das das Besondere. Die beiden waren einfach zu
durchschnittlich. Aalglatt, ohne den geringsten Makel.
Möglicherweise enthielten ja die Berichte über die Befragung der Angehörigen irgendwelche neuen
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