Klotz Und Der Unbegabte Moerder
Fahrrad näherte. Ein Blick zur Seite auf die Fensterbank. Das Gerippe des Ficus. Endlich hatte jemand die verwelkten Blätter entsorgt. Von draußen das Klappern hochhackiger Schuhe. Die gleiche Dame wie neulich. Das Bustier diesmal nicht flieder-, sondern himbeerfarben. Kein Eis. In seinem Rücken klopfte es.
»Herein.«
»Herr Hauptkommissar …«
»Was gibt’s, Leonie?«
»Was macht denn der Mann da drüben im Konferenzraum? Der reagiert gar nicht, wenn man ihn anspricht. Kann der überhaupt sprechen oder –?«
»Englisch, Leonie. Mit Herrn Ashkani müssen Sie Englisch sprechen.«
»Wissen Sie, was der gemacht hat? Der wollte mir doch tatsächlich in den Aus…«
Klotz hatte die Nase voll von prallen Dekolletés.
»Was ist los, Leonie? Was wollen Sie mir mitteilen?«, erwiderte er in ungewöhnlich scharfem Ton.
Etwas verdattert stand sie da mit ihrem roten Mund. Erinnerte ihn für einen Moment an eine Schülerin, die drauf und dran war, an einer Abfrage zu verzweifeln.
»Ja, äh … Herr Rechtsmediziner Lackner hat versucht, Sie zu erreichen. Es ist wichtig, hat er gesagt.«
»Wichtig, soso«, Klotz machte eine unbestimmte Geste, »werde ihn gleich anrufen.«
Mit einem Mal machte die Sekretärin einen unbeholfenen Eindruck. Wie bestellt und nicht abgeholt, dachte Klotz.
»Ist noch was?«
»Nein, das war’s schon.«
»Ja, dann. Noch einen schönen Tag, Leonie.«
Als sie bereits die Türklinke in der Hand hatte, drehte sie sich noch einmal um.
»Der Mann da drüben, dieser Armani …«
»Ein wichtiger Zeuge. Keine Sorge, ich kümmer mich drum.«
»Gut. Auf Wiedersehen.«
»Wiedersehen.«
Klotz setzte sich. Aus der Innentasche seines Jacketts holte er den Notizblock. Schlug ihn auf. Sah auf Wasim Ashkanis Zeichnung. Wahnsinn, wie dieser Typ zeichnen konnte. Dieses Gesicht da vor ihm. Es bestand kein Zweifel.
Das Telefon läutete.
»Klotz.«
»Ron Lackner hier.«
»Grüß dich.«
»Also, da ist noch was. Könnte wichtig sein.«
»Ich höre.«
»Die Freigabe der Leiche Cordes war ja für heute angeordnet.«
»Und?«
»Diese Cordes. Ich seh sie also da so auf dem Seziertisch liegen. Guck mir an, wie der Obduktionshelfer die letzten Vorbereitungen trifft. Den Corpus abspritzt. Das Gesicht abschminkt. Und plötzlich habe ich eine Eingebung.«
»Das Gesicht abschminkt? Warum zum Teufel hast du denn das Gesicht nicht abgeschminkt, bevor du sie aufgemacht hast?«
Lackner schwieg ganze drei Sekunden lang. Klotz lehnte sich zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch.
»Ja äh … das ist doch jetzt egal, oder?«
Ihm schwante, warum sich Lackner nicht an das Gesicht der Toten gewagt hatte. This angel …
»Also, Ron. Dann mal los«, half er dem Mediziner aus seiner Verlegenheit.
»Okay. Kurz und knapp: Ich hab einen Abstrich genommen. Von den Lippen und der Mundhöhle. Und was finde ich da?«
»Spermaspuren?«
»Nein. Speichel. Irgendjemand muss sie kurz vor ihrem Tod oder danach geküsst haben. Und zwar ausgiebig. Mit Zunge und so. Ziemlich heftiger French Kiss.«
Klotz hielt dem verstorbenen Ficus Benjamini den Hörer hin. So genau wollte er das gar nicht wissen.
»Bist du noch da? Werner?«
»Bah! Das ist ja widerlich!«
»Ja, nicht wahr?«
Klotz hatte den Eindruck, als finde Lackner das überhaupt nicht ekelhaft. Im Gegenteil. Pervers war der doch, dieser Gerichtsmediziner. Ein pathologischer Fall, dieser Alkoholikerpathologe.
»Um ehrlich zu sein, ich tippe sogar eher darauf, dass man Linda Cordes post mortem diesen saftigen Kuss verpasst hat.«
»Und warum?«
»Hätte Sie zum Zeitpunkt des Kusses noch gelebt, dann wären da weniger Spuren gewesen. Der Speichel hätte sich verflüchtigt, wäre heruntergeschluckt oder von körpereigenen Sekreten überlagert worden.«
Was für eine herrliche Vorstellung.
»Schön. Und wie sieht’s sonst aus? Habt ihr die Fremd- DNA schon verifiziert?«
»Ja. Wir haben einen Abgleich mit der zentralen Datenbank des Bundeskriminalamts vorgenommen. Aber leider war kein Treffer dabei.«
»Schade. Aber trotzdem danke für die Mitteilung, Ron.«
»Keine Ursache.«
»Bis dann.«
»Einen schönen Abend noch.«
Nachdem er aufgelegt hatte, sah er unbestimmt auf die Wurfscheibe an der Wand gegenüber. Im Bullseye steckte ein Dartpfeil. Er überlegte, ob man jetzt, wo man eine DNA -Spur hatte, nicht alle verdächtigen Lehrer und Schüler des Morlock-Gymnasiums zu einer Vergleichsprobe bitten sollte. »Erst im äußersten Notfall«,
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