Klotz Und Der Unbegabte Moerder
schwer verbergen. Am liebsten hätte er Frederik in seine Arme geschlossen. Aber das ging nicht. Er war ja im Einsatz, zudem noch undercover.
»Was machst du hier?«
»Der Spielmann braucht noch eine mündliche Note von mir. Gerade fragt er den Axel ab. Dann komm ich an die Reihe.«
Klotz näherte sich leise der Tür des Klassenraums und lauschte.
»Papa! Das macht man aber nicht!«
Frederik zupfte seinen Vater entrüstet am Sakkoärmel.
»Pscht.«
In der Rechenschaftsablage ging es um das Reichsparteitagsgelände, so viel hatte Klotz verstanden. Spielmann war gerade dabei, einem Schüler die Leviten zu lesen. Die Kongresshalle sei nicht von Albert Speer, sondern von einem gewissen Ruff erbaut worden. Und der Platz vor der Zeppelintribüne hieß auch nicht Marsfeld.
Klotz zuckte zusammen. Ein leichter Schauer überfiel ihn. Er erinnerte sich an Silvester vor zweieinhalb Jahren. Und daran, was er damals auf dem Reichsparteitagsgelände durchlebt hatte. Und dass es ihm völlig egal gewesen war, ob das Gelände vor dieser Tribüne Mars-, Mond- oder Was-weiß-ich-Feld geheißen hatte und welcher von diesen Naziarchitekten nun die Kongresshalle erbaut hatte oder nicht. Um sein nacktes Leben war es damals gegangen. Die unselige Historie eines Dritten Reiches hatte ihn einen Scheißdreck interessiert.
»Dass ihr dieses Nazi-Zeug schon in der sechsten Klasse lernen müsst.«
»Ja.« Frederik verzog das Gesicht. »Der Spielmann steht auf diesen Schrott.«
Einen Moment noch sah er seinem Sohn ins Gesicht. Wischte ihm die blonden Strähnen aus der Stirn. Er konnte sich nun doch nicht zurückhalten, seinen Sohn zu umarmen.
»Viel Glück, mein Kleiner!«
»Mach’s gut, Papa.«
Kaum war er um die nächste Ecke gebogen, erkannte er den Pferdekopf von Studienrätin d’Abottiglia-Müller.
»Herr Bieringer!«, brachte sein Gegenüber mit gespielter Verschämtheit hervor. »Schön, Sie zu sehen.«
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, heuchelte Klotz.
D’Abottiglia-Müller hatte begonnen, in ihrer Umhängetasche herumzukramen.
»Ich habe da übrigens was für Sie.«
»Ach ja?«
Sie reichte ihm ein Papier.
»Bitte kopieren Sie das und teilen Sie es in Ihrer Klasse aus.«
Der pseudofreundliche Ton war gewichen, stattdessen brach etwas massiv Dominantes in ihrer Stimme durch, das irgendwie was von unbefriedigter Frau an sich hatte, fand Klotz.
Er fing an, sich das Blatt durchzulesen.
»Hände weg von mir!« Aha, da ging es also offensichtlich um sexuellen Missbrauch an Minderjährigen und Schutzbefohlenen. Wieder fiel ihm dieser Anwalt ein, dieser Dr. Höderlein, der neue Lebensgefährte seiner Ex-Frau. Klotz erstickte den Groll, der drauf und dran war, ungebremst in ihm nach oben zu steigen. Ein ernstes Thema, dachte er, ernst und überaus wichtig. Diesen Wichsern, die so etwas wirklich taten, die sich an wehrlosen Kindern vergriffen, denen sollte man am besten … Er brachte seinen Gedanken nicht zu Ende. Stattdessen sah er auf. D’Abottiglia-Müller war verschwunden. Er faltete das Papier zusammen und steckte es ein. Dann stieg er die Treppe hinauf in Richtung Direktorat.
»Bieringer! Sind Sie eigentlich noch ganz bei Trost?«
Mit hektischen Bewegungen zappelte ein blauer Guppy im direktörlichen Aquarium herum.
»Ich verlange ja nicht viel«, Löterich hielt sich an dem Bart in seinem hochroten Gesicht fest, »aber das ! Mir fehlen die Worte.«
»Aber Herr Dr. Löterich, Sie haben doch selbst –«
»Wagen Sie es nicht, den Versuch zu unternehmen, mich hier in dieser Angelegenheit mit Zitaten zu überführen, die Sie irgendwann einmal von mir gehört haben wollen!«, stieß der Schulleiter in einer Schärfe hervor, die keinerlei Einwand zuließ.
Klotz’ Blick hatte sich dazu entschlossen, den fahrigen Zuckungen des Guppys zu folgen, auch wenn das etwas anstrengend war.
»Sie, Sie …!« Löterich tobte. »Sie sind kein Elefant im Porzellanladen, nein! Sie sind ein Mammut! Grob und laut und trampelnd und im Prinzip schon ausgestorben. Sie sind ein Fehler, im System und überhaupt. Man sollte Sie mit einem blutroten Korrekturstift ausmerzen. Aber aus irgendwelchen Gründen sind Sie der Müllhalde der Evolution entkommen.«
Nur nicht diskriminierend werden, dachte Klotz und sah dem Guppy dabei zu, wie er an etwas Essbarem knabberte.
»Mammuts sind doch auch nur Menschen.«
»Wenn Sie sich auch nur im Entferntesten noch einmal so eine Vorstellung leisten sollten …«
Da, da war er ja
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