Klotz Und Der Unbegabte Moerder
der?«
»Ist auf dem Gymnasium. Gibt Italienisch und noch irgendwas.«
Er hörte dem Italienischlehrer aus Fürth dabei zu, wie dieser rechtfertigende Ausführungen über die schlechte Beschaffenheit der Eisfläche und seiner Schlittschuhe machte. Irgendwie schwante es Klotz, warum Deutschlands Schüler in der Pisa-Studie zu solch schlechten Ergebnissen kamen. Er schnappte sich die Fernbedienung und schaltete um. Auf Franken- TV wurde vom kürzlich stattgefundenen Girls-Day berichtet. Während der Kommentator über die dringend notwendige Förderung von Mädchen im heutigen Schulsystem schwadronierte, sprintete im Hintergrund ein zehnjähriges Mädchen mit atemberaubender Geschwindigkeit eine Leiter hoch. Plötzlich fiel Klotz etwas ein.
»Du, Schatz, ich muss noch mal los.«
In Melanies Blick lag eine Mischung aus Vorwurf und Enttäuschung. »Du wirst doch jetzt nicht zu diesem Cordes gehen!«
»Nein. Das hat Zeit bis morgen.«
Klotz war aufgestanden und machte sich auf den Weg ins Schlafzimmer.
»Hat etwas mit der Schule zu tun.«
»Wie bitte? Sagtest du Schule ? Hast du schon mal auf die Uhr geschaut?«, rief Melanie ihm hinterher.
Doch Klotz, der die Tür zum Wohnzimmer bereits geschlossen hatte und sich gerade umzog, wollte oder konnte seine Freundin nicht mehr hören.
Er hatte Schwierigkeiten gehabt, noch einen freien Parkplatz vor dem Schulgebäude zu ergattern. Vermutlich war alles von der elften bis zur dreizehnten Klasse bei dieser Veranstaltung zugegen, dachte er, und er sah sich im Vorbeigehen die Autos an, mit denen die Pennäler den Weg hierher gefunden hatten. Auf jedem zweiten Wagen prangte ein Stern oder ein blau-weißes Wappen. Von den Alfa Romeos und Mini Coopers ganz zu schweigen. Klotz fiel für einen Moment sein schmales Gehalt ein. Und plötzlich verspürte er so etwas wie Stolz, wenn er an seinen pinkfarbenen Camaro dachte. Zugegeben, ein Dienstwagen nur, aber immerhin. Pussy Wagon, das sollte eigentlich auf den anderen Automobilen hier auf dem Parkplatz stehen. Klotz öffnete die Tür.
Er erkannte die Aula nicht wieder. Die Wände und Treppenaufgänge waren mit Vorhängen aus dickem schwarzem Stoff abgedeckt worden. Vor einer Bühne, auf der verschiedene Bandmitglieder auf ihre Instrumente eindroschen, waberte eine verschwitzte jugendliche Masse vor sich hin und grölte. Wäre ich doch nur zu Hause geblieben und hätte mir diesen athletischen Lehrer im Fernsehen gegeben, dachte Klotz. Dann riss er sich zusammen und bahnte sich den Weg durch die tobenden Schüler. Denn es gab da etwas, das ihn anspornte. Etwas, das ihn an eine Oase inmitten einer schrecklichen Wüstenlandschaft erinnerte. Und dieses Etwas fand seinen Ausdruck in drei rettenden Buchstaben. Die heilige Dreifaltigkeit, dachte er, als er endlich unter dem Schild, auf dem »Bar« geschrieben stand, angekommen war.
Als er die Tropfen, die ihm offenbar aus dem Gesicht gefallen waren, auf der Theke sah, wurde er sich der Affenhitze bewusst, die hier herrschte. Er bemerkte, dass seine Oberarme an manchen Stellen bereits fest an den Sakkoärmeln klebten, und traf Anstalten, sich des Kleidungsstückes zu entledigen. Plötzlich blickte er in ein Gesicht, das ihm bekannt vorkam.
»Herr Bieringer, kann ich Ihnen helfen?«
Klotz, seltsam verdreht in seinem Jackett steckend, antwortete mit einem verlegenen Lachen. Der Junge kam hinter der Theke vor und fasste an den Kragen des Sakkos. Als Klotz von dem Stoff endlich befreit war, atmete er erst mal durch.
»Danke, Cem. Das ist echt nett von dir.«
»Keine Ursache, Chef! Mach ich doch gerne für Sie. Ich kann die Jacke auch hinter die Theke legen. Da ist sie sicher.«
Klotz fuhr sich durch das schweißnasse Haar. »Das wär klasse. Danke dir.«
»Was wollen Sie überhaupt trinken, Chef?«
»Was kannst du mir denn empfehlen?«
»Ein Astra vielleicht?«
»Was bitte? Seit wann kann man Autos denn trinken?«
»Astra, kennen Sie das nicht? Das ist ein Bier aus Hamburg.«
Klotz erinnerte sich wieder an die anzügliche Werbung, die auf der Litfaßsäule vor dem Schulgelände klebte. Diese Jugendlichen heutzutage fielen doch auf alles herein. Nun ja, Sex sells.
»Ich muss jetzt gleich auf die Bühne, Chef. Wär schön, wenn Sie sich mal entscheiden könnten.«
Klotz’ Transpiration hatte eigentlich schon nachgelassen.
»Sag mal, Cem, ich bin immer noch dein Lehrer! Überleg dir bitte mal, in welchem Ton –«
»Sorry Chef, aber ich muss jetzt wirklich los.«
Cem Bülent
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