Klotz Und Der Unbegabte Moerder
Umweg zu machen.
»Bist du Frederik Klotz?«, brachte er in gespielt vorwurfsvollem Ton vor, bevor sein Sohn etwas hatte sagen können. »Ich bin Herr Bieringer und hätte da etwas Wichtiges mit dir zu besprechen.«
Frederik hatte verstanden und grinste den Vater für einen kurzen Augenblick geheimnisvoll an. Dann begaben sich die beiden in einen seitlich gelegenen Treppenaufgang. Nachdem Klotz kontrolliert hatte, dass sich außer ihnen dort niemand befand, holte er das neue Handy aus der Tasche.
»Für dich. Ich wollte es dir eigentlich zu deinem Geburtstag schenken.«
Frederiks Augen leuchteten auf, als sie das begehrte Objekt erblickten. Dann fiel er dem Vater in die Arme.
»Mensch, Papa! Genau so eins hab ich mir gewünscht! Danke!«
Dass ein Kind heute noch danke sagte. Und dass dieses Kind sein Sohn war. Klotz drückte Frederik an sich und strich ihm übers Haar.
»Mist. Ich glaub, ich hab da was.«
Er hatte Frederik losgelassen und wischte sich mit den Fingern an den Augenwinkeln herum.
»Meine Nummer hast du ja. Jetzt kannst du mich immer anrufen, wann immer du willst. Dann machen wir was. Gehen aufs Volksfest oder in den Tiergarten, okay?«
»Okay, Papa!«
»So. Jetzt aber los. Der Unterricht fängt gleich an.«
»Ich will da nicht hin.«
Klotz war einigermaßen irritiert. Bisher war ihm sein Sohn immer als ein Kind in Erinnerung, das Spaß an der Schule gehabt hatte.
»Wieso das denn?«
»Wir haben jetzt Sport«, Frederik machte eine wegwerfende Geste, »beim Barkhoff. Widerlich.«
»Warum das denn?«
»Der streichelt den Mädchen immer über den Po.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Ekelhaft ist das.«
»Bei euch in der sechsten Klasse?«
»Ja. Und keiner macht den Mund auf. Ich hab ihm vor ein paar Wochen mal gesagt, dass man das nicht macht. Da hat er nur gelacht.«
Klotz runzelte die Stirn und legte einen Zeigefinger auf den Mund.
»Aber die Jungs fasst er nicht an, oder?«
Frederik antwortete nicht. Stattdessen drehte er sich weg.
»Du hast recht, Papa. Die Stunde fängt gleich an. Ich muss zur Turnhalle.«
Als er den Jungen weglaufen sah, spürte Klotz seine Lebensgeister zurückkehren. In Form einer Wut, die es für den Moment zu unterdrücken galt.
Als er die Schwelle zum Klassenzimmer der 11a betrat, fühlte sich Klotz so blank wie ein Schüler, der kurz vor einer Prüfung stand, die darüber entschied, ob er die Klasse wiederholen musste oder nicht. Zwar fühlte er sich körperlich einigermaßen in der Lage, eine Schulstunde zu bestreiten, allein ihm fehlte der Stoff. Hinzu kam, dass er eine tiefe Abneigung gegen denselben empfand. Plötzlich fiel ihm ein Zitat ein, das er im Zuge seiner Vorbereitungen irgendwo gelesen hatte. Er glaubte sich zu erinnern, dass es von Lichtenberg gewesen war.
»Guten Morgen!«
»Guten Morgen, Herr Schmierfinger!«
Hatte er da richtig gehört? Klotz sah in die letzte Reihe und bemerkte, dass Anja Löterich fehlte. Dann räusperte er sich verlegen.
»Hat zufällig jemand von euch eine Kreide einstecken?«
Hie und da lachte jemand auf. In der ersten Reihe öffnete ein rachitisch aussehendes Mädchen ihren Schulranzen und zog eine Metalldose heraus, die sie dem Lehrer reichte. Klotz öffnete den Behälter und entnahm ein Stück Kreide.
»Hefte raus und mitschreiben!«, befahl er lakonisch.
Er war an das linke Ende der Tafel gegangen und hatte das Schreibgerät schon angesetzt. Angestrengt sinnierte er über den genauen Wortlaut des Zitats. Dann begann er zu schreiben: Die schönste Stelle im Werther ist die, wo er den Hasenfuß erschießt. (Georg Christoph Lichtenberg)
Als Klotz sich wieder der Klasse zuwandte, fiel sein Blick auf einen nackten Hintern. Die Schüler brüllten, als sie sahen, wie ihrem Lehrer die Kinnlade herunterfiel. Schnell zog der rothaarige Junge seine Hosen hoch und setzte sich auf seinen Platz. Er hielt seinen Klassenkameraden die ausgestreckte rechte Hand hin, die nacheinander von den benachbarten Jungs abgeklatscht wurde.
»Ganz schön zweideutig!«, rief Maxi Rausch.
»Was meinst du damit?«, fragte Klotz unsicher nach.
»Na, das Zitat. Was denn sonst?«
Wieder brach die Klasse in hämisches Gelächter aus.
»Herr Bieringer?«, meldete sich Cem Bülent.
»Ja bitte?«
»Warum lesen wir eigentlich nicht den ›Faust‹? Wäre das nicht die bessere Lektüre?«
Klotz wusste nicht, was er antworten sollte. Die Situation verwirrte ihn. Statt seiner ergriff Maximilian Rausch die Initiative und
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