Knapp am Herz vorbei
Frage herum.
Eines Tages gibt ein Privilegierter Willie zu verstehen, dass ein einziger Wachturm über Nacht unbemannt ist. Anfangs kann Willie sich keinen Reim darauf machen, doch dann geht ihm ein Licht auf. Die Zeitungen sind voll von Geschichten über Lawes’ aufwendige Modernisierung. Jetzt, da die Große Depression sich mit jedem Tag verschlimmert, muss Lawes die Kosten senken. Warum Wachmänner bezahlen, die in jedem Turm die ganze Nacht sitzen sollen, wenn man Millionen für den Bau eines ausbruchsicheren Zellenblocks ausgegeben hat?
Willie glaubt also, den schwächsten Punkt in der Mauer zu kennen. Aber ihm bleibt immer noch das Problem, wie er sie erklimmen soll. Und auch das Problem, wie er von seiner Zelle dorthin kommt, ist noch nicht gelöst. Die acht Türen. Es vergehen weitere vier Monate, in denen er sich mit diesem Problem beschäftigt.
Im Spätsommer 1932 sitzt Willie im Hof und trauert den Rosen nach. Als er aufblickt, sieht er Johnny Egan aus der Maschinenwerkstatt kommen. Egan, ein dunkler, attraktiver Typ, sieht ein bisschen wie Happy aus, auch wenn er sich eher wie Marcus verhält. Doch daran darf Willie sich nicht stören, denn Egan ist ein Privilegierter und darf sich frei auf dem Gefängnisgelände bewegen. Er geht in den Werkstätten, die mit Werkzeugen gut eingedeckt sind, nach Belieben ein und aus. Das heißt, Egan könnte Willies einzige Hoffnung sein.
Während der Hofzeit spielt Egan gern American Handball, deshalb fängt Willie an, das Spiel zu lernen. Er wird so gut, dass er sich bei Gefängnisturnieren mit Egan zusammentut. Er gewinnt Egans Respekt und Loyalität, spielt mit ihm 1932 bei den Sing-Sing-Meisterschaften im Doppel. Nach einem trotz zwischenzeitlichem Rückstand doch noch erreichten Sieg legt Willie Egan einen verschwitzten Arm um den Nacken und sagt, dass er eines Tages vielleicht mal ein paar Dinge braucht. Er flüstert ihm eine mögliche Einkaufsliste zu.
Du willst ausbrechen?, flüstert Egan zurück.
Willie antwortet nicht.
Ich bin dabei, sagt Egan.
Ich arbeite allein, Kleiner.
Ich bin dabei – oder keine Hilfe.
Es hat keinen Sinn zu diskutieren. Selbst wenn Egan die Werkzeuge auf Willies Einkaufsliste besorgen könnte, müssten sie immer noch durch die acht Türen, und Willie weiß nach wie vor nicht, wie er die Mauer erklimmen soll.
Egan findet schließlich eine Möglichkeit. Im November 1932 kommt er auf einer seiner Runden durch den Keller, der unter dem Speisesaal liegt, und sieht hinter einigen Paletten zwei Holzleitern. Jede Leiter ist vier Meter lang, erzählt er Willie. Nicht lang genug, um über die Mauer zu kommen.
Es sei denn, man bindet sie zusammen, sagt Willie.
Und damit geht es los. Der Plan ist klar, die Zeit ist jetzt. Wer weiß, wie lange die Leitern dort noch liegen? Willie gibt Egan die Einkaufsliste. Für die Türen und Pforten braucht er Drehmomentschlüssel, Picks, Spanner. Für die Gitter seiner Zellentür braucht er eine Metallsäge.
Ich bin dabei, sagt Egan. Klar?
Willie schüttelt den Kopf.
Ich bin dabei, sagt Egan, oder keine Chance.
Willie seufzt. In Ordnung.
Als Willie und Egan am nächsten Tag trainieren, lässt Egan Willie die Picks, die Metallsäge und den Spanner zukommen. Willie steckt sie unter sein Hemd in den Hosenbund, was nicht einfach ist. Die Metallsäge zerschlitzt ihm den Rücken.
Später, nach dem Ausschalten der Lichter, setzt er die Metallsäge an einem unteren Gitterstab seiner Zellentür an. Sie schneidet den Stab so mühelos durch wie die Haut an seinem Rücken. Er sägt ihn glatt durch, zieht den Stab heraus und steckt ihn dann, mit Kaugummi befestigt, wieder zurück. Am nächsten Morgen beim Frühstück sagt er zu Egan, er soll sich auch eine Metallsäge besorgen, dasselbe mit einem Gitterstab seiner Zelle machen und dann abwarten.
Willie weiß, dass er die Schlösser an allen acht Türen knacken kann. Das hat er drauf. Nur das letzte ist schwierig. Die große Stahltür im Keller, die in den Hof führt, übersteigt sein Talent und alles, was Doc ihm beigebracht hat. Für diese Tür braucht er einen Schlüssel. Er überredet einen Lebenslänglichen, den Hauptschlüssel von der Kette eines Oberaufsehers zu stibitzen, während der in der Dusche ist, und einen Wachsabdruck zu machen. Als Gegenleistung verspricht Willie, dass er, wenn er draußen ist, der Familie des Lebenslänglichen einen Batzen Geld zukommen lässt. Willie hat immer noch überall in der Stadt Geldgläser vergraben.
Mit dem
Weitere Kostenlose Bücher