Knapp am Herz vorbei
wurde verhaftet, Mr Sutton?
Albert Vitale. Ein ehemaliger Richter – es kam heraus, dass er sich im Amt hat bestechen lassen. Von Arnold Rothstein.
Dem Typen, der 1919 die Baseball-World-Series manipuliert hat?
Genau dem. Sie waren eng befreundet. Rate, mit wem Rothsteins Bruder verheiratet war? Mit der Enkelin von Mr Untermyers Bruder.
Willie, die Handschellen. Bitte.
Was ist mit Marcus passiert, Mr Sutton. Haben sie ihn auch verprügelt?
Nein. Er hat ihnen zu viel gesteckt, als dass sie ihn geschlagen hätten. Er dachte, wenn er mich verpfeift, käme er mit einer milden Strafe davon, aber sie haben ihn trotzdem für fünfundzwanzig Jahre eingebuchtet. 1951 haben sie ihn laufenlassen, und ein paar Monate später ist er gestorben. Laut
Times
hatte er zwei Dollar und einundachtzig Cent auf seinem Konto. Er wurde in einem schäbigen Hotel gefunden. Zusammengesackt über einer Schreibmaschine. Scheißverräter.
Willie im Bus nach Sing Sing. Februar 1932 . Er hat noch die Worte des Richters in den Ohren, die von den Marmorsäulen und den mondhellen Steinwänden des Gerichtssaals widerhallen.
Sutton, Sie sind ein Typ von Verbrecher, dessen Untaten das amerikanische Volk schockiert. Die New Yorker Polizei hält Sie für einen der gefährlichsten Männer, die sich je auf den Straßen herumgetrieben haben. Was Dreistigkeit, Gesetzesverstöße und Nichtachtung von Eigentum und Leben angeht, so gehören Ihre Verbrechen zu den schamlosesten, die in dieser Stadt je begangen wurden. Wenn wir über Raubüberfälle dieser Art im Wilden Westen lesen, wundern wir uns und sagen, solche Verbrechen gibt es heute nicht mehr. Aber Sie können es mit den Schurken von damals aufnehmen. Für einen New Yorker Richter ist es sehr schwer, einen New Yorker Jungen vor sich zu sehen, der in einer Umgebung groß wurde, die eigentlich einen guten Menschen aus ihm hätte machen müssen. Aber ich bin mir meiner Pflicht bewusst. Obwohl Sie erst dreißig Jahre alt sind, muss ich Sie zu einer Gefängnisstrafe verurteilen, die Ihr Alter weit übertrifft.
Fünfzig Jahre.
Der Bus rollt durch den Eingang von Sing Sing. Sutton überblickt das Gelände. Als Erstes fällt ihm auf, dass die Rosengärten nicht mehr da sind. Und das ist nur eine von fünfzig Veränderungen. Lawes hat das Gefängnis von oben bis unten umgebaut und es in eine kleine Stadt verwandelt, mit neuen Werkstätten, einem neuen vierstöckigen Zellenblock und einer neuen acht Meter hohen Mauer.
Manches ist natürlich auch gleich geblieben. Als die Aufseher Willie in Lawes’ Büro bringen, grinst der breit. Willkommen zurück, Arschloch.
Willie erkundigt sich nach den Gärten.
Wir haben neue Abflussrohre verlegt, da mussten die Blumen weichen.
Wahrscheinlich hat es Chapin das Herz gebrochen, seine Rosen niedergewalzt zu sehen.
Oh ja. Letztes Jahr haben wir
ihn
einen Meter tief in die Erde gepflanzt.
Auch sonst ist noch einiges so, wie Willie es in Erinnerung hat. Das Essen beispielsweise. Maisgrieß zum Frühstück, Bohnen zum Mittagessen, eine knorpelige Scheibe Schweinefleisch am Abend. Es ist nicht nur dasselbe Angebot – Willie hat den Verdacht, es könnte exakt der Fraß von vor sieben Jahren sein.
Lawes teilt Willie der Schuhwerkstatt zu, Sohlen reparieren. Fünfzig Jahre, denkt er. Wenn er den Hügel zur Werkstatt hochstapft und wieder hinunter zum Speisesaal, wenn er am Ende eines langen trostlosen Tages in seine Zelle zurückmarschiert, sagt er sich immer wieder: Fünfzig Jahre. Ohne Chapin, ohne Garten, ohne Eddie, ohne Endzeitpunkt – es übersteigt seine Vorstellungskraft. Es ist mehr, als er erträgt.
Er studiert den neuen Lageplan des Gefängnisses, legt im Geist eine Karte an. Acht Pforten stehen zwischen ihm und der Außenwelt. Seine Zellentür ist die erste. Dann eine Treppenflucht und eine verschlossene Holztür. Dann ein langer Gang und eine Metalltür mit Vorhängeschloss. Dann noch ein Gang und eine weitere zugesperrte Holztür. Dann noch eine Metalltür mit Vorhängeschloss. Dann der Speisesaal und noch eine zugesperrte Holztür. Und schließlich ein letztes Tor mit Vorhängeschloss. Dann der Keller, von dessen anderem Ende eine gewaltige verschlossene Stahltür in den Hof führt.
Selbst wenn Willie irgendwie durch alle acht Türen käme, stieße er dann auf die Außenmauer. Wie soll man eine acht Meter hohe Mauer erklettern, auf der Wachmänner mit Thompson-Maschinengewehren stehen?
Zwei Monate lang schlägt Willie sich mit dieser
Weitere Kostenlose Bücher