Knapp am Herz vorbei
durch die schmutzigen Musselinvorhänge fallende Sonnenlicht. Er fährt hoch und versucht sich zu erinnern. Alles kommt ihm unwirklich vor. Egan, die Tore, die Leitern. Er rennt zu einem Kaffeestand und kauft zwei Becher Kaffee, vier dick mit Butter beschmierte Brötchen, eine Stange Zigaretten und sämtliche Zeitungen. Jetzt ist es real. Er und Egan sind auf jeder Titelseite. Lawes erklärt den Zeitungen, dass die drei während des Ausbruchs diensthabenden Wärter – Wilfred Brennan, Samuel Rubin und Philip Dengler – entlassen wurden.
Willie zündet sich eine Chesterfield an. Na, dann viel Glück bei der Jobsuche, Leute. Wir haben eine Depression, das wisst ihr ja.
Willie tapst zu Egans Zimmer, klopft an die Tür.
Keine Antwort.
Er klopft wieder. Egan, flüstert er. Es wird Zeit.
Nichts.
Er klopft energischer.
Stille.
Der Mann an der Rezeption hat eben seinen Dienst angetreten. Er sagt, Mr Garfields Zimmerschlüssel sei nicht in seinem Fach. Vermutlich ist er ausgegangen.
Ausgegangen?
Willie setzt sich in die Lobby und beobachtet den Eingang. Eine Stunde. Dann geht er nach oben in sein Zimmer und beobachtet von seinem Fenster aus die Straße. Zwei Stunden. Er spürt geradezu, wie seine Nervenenden zerfasern. Und wenn Egan nicht zurückkommt? Wenn die Cops ihn schon gefasst haben? Wie lange hält Egan durch, bis er ihnen sagt, wo sie Willie finden? Wie lange sollte er warten, bis er das Sundowner verlässt? Er will seinen Partner nicht im Stich lassen, und er will kein offenes Problem zurücklassen, besonders kein offenes Problem, das so viel weiß. Aber Egan könnte in genau diesem Augenblick mit den Cops reden. Die Cops könnten schon unterwegs sein.
Kurz vor zwölf Uhr mittags schaut Willie aus dem Fenster und sieht Egan in Richtung Hotel schwanken. Er rennt nach unten und geht auf Egan los.
Ich hab dir doch gesagt, du sollst dein Zimmer nicht verlassen.
Musste raus, Willie, mir iss die Decke aufn Kopf gefallen.
Du stinkst nach Gin.
Dasseine dreggige Lüge. Ich hab Scotch getrungen.
Egan, ist dir klar, welches Risiko du eingegangen bist?
Bin nich eingegangen. Hab ein Drink gebraucht, Willie, ich war mitten Nerven total am Ende. Da issn netter, kleiner Laden umme Ecke, komm mit, ich zeich ihn dir.
Willie führt Egan nach oben, verfrachtet ihn aufs Bett. Dann zieht er sich einen Stuhl heran und sieht Egan beim Schnarchen zu. Das neunte Tor.
Sutton, Schreiber und Knipser stehen vor dem Sundowner, einem schmalen dreistöckigen Haus, eingequetscht zwischen zwei Gebäuden, die sich wie Palmen neigen. Ich kann nicht fassen, dass es noch da ist, sagt Sutton.
Er späht die steile Treppe hoch, die zu einer mit Messern zerkratzten Glastür voller schmieriger Fingerabdrücke führt. Dieselbe Glastür, durch die er Egan vor siebenunddreißig Jahren bugsiert hat.
1932 , sagt Sutton, kostete ein Bett in dieser Bruchbude einen Dollar. Könnt ihr euch das vorstellen? Für saubere Bettwäsche musste man zwanzig Cent extra zahlen. Aber für mich war es in dieser ersten Nacht das Scheißplaza. Ich schlief so tief und fest wie noch nie. Dann jagte mir Egan einen Schrecken ein. Er ging auf Sauftour. Als er zurückkam und ich ihn ins Bett packte, hörte ich Sirenen. Ich war mir sicher, dass sie ihn verfolgt hatten. Aber es ging um irgendein armes Mädchen im selben Flur, sie hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Da waren wir also, zwei entflohene Knackis in einem schäbigen Hotel, in dem es vor Cops nur so wimmelte. Ein paar Stunden lang stand alles auf des Messers Schneide.
Willie?
Sutton dreht sich zu Knipser um. Ja, Kleiner?
Können Sie mir bitte, bitte die Handschellen abnehmen?
Oh, Mann, hab ich total vergessen.
Sutton greift in seine Tasche, holt den Schlüssel raus und befreit Knipser.
Halleluja, sagt Knipser und reibt sich die Handgelenke.
Ja. Halleluja. Das hat Willie auch immer gesagt, wenn sie ihm die Armreifen abnahmen.
Schreiber holt die Karte aus seiner Brusttasche. Unser nächster Halt ist nicht weit von hier, sagt er. West Fifty-Fourth.
Der frühere Sitz des Chateau Madrid, sagt Sutton. Hauptquartier von Dutch Schultz, der mir half, mein Problem mit Egan zu lösen.
Nachdem die Cops das Mädchen mit den aufgeschnittenen Pulsadern aus dem Sundowner gebracht haben, schlüpft Willie in ihr Zimmer. Und wie er hofft, findet er auf dem Toilettentisch jede Menge Make-up. Und eine Flasche Wasserstoffperoxid. Und ein paar blutige Rasierklingen. Er hält seinen Hemdsaum auf, fegt
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