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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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verzweifelt, verloren, allein?
    Er erinnert sich. Nicht bewusst, denn er ist nur halb bei Bewusstsein, aber mit einem klitzekleinen Stückchen seines Verstandes erinnert er sich an Bess. Wie er aus ihrem Haus verbannt wurde. Wie er ihren Vater traf. Und erfuhr, dass sie das Land verlassen hatte. Wie sie die Frau eines anderen Mannes wurde. Wie er erfuhr, dass sie das Kind eines anderen Mannes in sich trug. Nach all diesem Schmerz, redet er sich nach Luft schnappend ein, wird ihn dieser Schmerz nicht umbringen. Und wenn doch, dann sei’s drum. Er schreit die Mittelgewichtler an.
Na los, na los, tut euer scheiß Bestes
! Aber er ist im Delirium und hat die Unterhose eines Cops im Mund. Sie verstehen ihn nicht. Dann lächelt er.
Das
verstehen sie.
    Die Hiebe hören auf.
    Sie stellen Willie auf die Beine, schlingen ihm ein Seil um die Knöchel. Dann verbinden sie ihm die Augen, führen ihn hinaus und zerren ihn durch den Flur an den Rand eines Abgrunds. Er spürt einen kühlen Luftschwall. Wahrscheinlich steht er oben an einer langen Treppe, die in irgendein tiefes Kellergeschoss führt. Er versucht zurückzutreten.
    Letzte Chance, Sutton. Bist du bereit zu reden?
    Er sagt nichts.
    Feuer frei, Arschloch.
    Er fällt Kopf über Fuß über Kopf, landet auf seinen gebrochenen Rippen, auf seiner Schulter, auf seiner Nase. Seine arme Nase. Wieder gebrochen. Die Cops poltern die Treppe herunter. Wohl der Festnahme widersetzt, wie? Versucht abzuhauen, oder?
    Sie lachen alle, und einer lacht so laut, ha, ha, dass ihm die Luft wegbleibt.
    Dann wiederholen sie das Ganze.
     
    Knipser biegt in die Centre Street.
    Langsam, sagt Willie. Langsam.
    Da steht eine Reihe schräg geparkter Streifenwagen. Schwarz und weiß, mit Lichtern obendrauf. Aber sonst sehen sie genauso aus wie der Polara. Sutton zeigt über sie hinweg auf die Vordertreppe und die beiden Steinlöwen.
    Dieses Gebäude, sagt er. Dorthin haben sie mich gebracht, nachdem sie mich und Marcus erwischt hatten.
    Knipser parkt ungefähr fünfzig Meter entfernt. Ich glaube, näher darf ich nicht ran.
    Sutton steigt aus, geht zögernd auf das Gebäude zu. Auf der anderen Straßenseite bleibt er stehen, blickt finster zu den Polizisten, die zwischen den Steinlöwen kommen und gehen. Der Löwe kommt um, murmelt er, wenn er keine verdammte Beute hat.
    Knipser und Schreiber gehen hinter ihm her. Was haben sie gemacht, als sie Sie hierherbrachten?, fragt Knipser.
    Frag lieber, was sie nicht gemacht haben.
    Könnten Sie nicht ein bisschen deutlicher werden?
    Sie brachten mich zur Gegenüberstellung. Und stellten mir jede Menge Fragen.
    Haben Sie geredet?
    Ja, und ob. Ich hab ihnen gesagt, sie sollen mich am Arsch lecken. 
    Und dann?
    Dann haben sie mich verprügelt, wie es schlimmer nicht ging.
    Schweine, sagt Knipser leise. Sie schlagen den Leuten gern die Köpfe ein.
    Oh, ja, Kleiner. Das stimmt.
    Und wie war es, Mann? Wie genau war es?
    Sutton greift in seine Brusttasche und holt die Handschellen mit dem Pelzbesatz heraus. Du willst wissen, wie es war?
    Ja.
    Leg sie um.
    Knipser lacht.
    Das dachte ich mir, sagt Sutton. Du willst immer Erfahrungen machen. Bis sie sich dir dann bieten.
    Knipser blickt gekränkt drein. Er reicht Schreiber seine Kamera und streckt die Handgelenke aus. Sutton wackelt mit dem Finger. Nein, Kleiner, umdrehen. Hände hinter den Rücken.
    Knipser dreht sich um, und Sutton legt ihm die Handschellen an. Drei Polizisten gehen langsamer und sehen zu, wie der alte Mann im Trenchcoat mit dem Pelzkragen dem Hippie in der Wildlederjacke Handschellen mit Pelzbesatz anlegt. Hat dieser alte Mann nicht große Ähnlichkeit mit – Willie Sutton?
    In Handschellen dreht Knipser sich um. Sutton schlägt eine knappe Rechte auf seine Bauchgegend und stoppt seine Faust drei Zentimeter vor der Gürtelschnalle. Knipser zuckt zusammen und springt zurück. Sutton lächelt.
    Nun, Kleiner, stell dir vor, der Schlag hätte getroffen. Stell dir vor, ein weiterer wäre gelandet und noch einer und noch fünfzig weitere. Du kriegst keine Luft. Du hustest Blut. Nach fünfzig Hieben in die Wampe verpfeifst du deinen Vater und deine Mutter und sämtliche Engel im Himmel.
    Es folgt ein Hagel von Schattenschlägen, kurze Gerade, Antäuschen, kurze Gerade, jeder Hieb stoppt kurz vor Knipsers Gürtelschnalle oder Gesicht, der jedes Mal zusammenzuckt. Dann tritt Sutton vom Gehsteig auf die Straße, in geduckter Boxerstellung. Er holt weit aus und schlägt in Richtung Polizeihauptquartier.

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