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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Polizisten in dieser Stadt, und alle neunzehntausend wissen, was heute ihre vordringlichste Aufgabe ist – die Verräter zu fangen, die in diese Gewalttat verstrickt sind.
Aber sie haben den Fall nie gelöst.
    Schon verrückt, sagt Knipser und fotografiert Sutton, der gerade einen Blick in die Gasse wirft. Dass der Kommissar dieses Wort verwendet – Verräter. Und verrückt, dass sie den Fall nie gelöst haben. Okay, Willie, gehen wir noch eben die Straße hoch, für ein Foto vor dem Schuster-Haus, dann sind wir fertig.
    Mit Schreiber und Knipser an der Seite geht Sutton weiter.
    Mr Sutton, sagt Schreiber, nach Arnies Tod hat sich die öffentliche Meinung gegen sie gerichtet.
    Ja.
    New York hat eine 180 -Grad-Drehung gemacht. Die Leute haben ihre Ansichten über Helden, Verräter und Verbrechen neu überdacht. Und über Sie.
    Ich weiß, Kleiner, ich weiß.
    Bei Arnolds Beerdigung war eine gewaltige Menge anwesend. Sehen Sie sich dieses Bild an.
    Ich hab seinen Eltern geschrieben. Vielleicht war das ein Fehler.
    Da ist es, sagt Knipser. Neunhunderteinundvierzig. Arnies Haus.
    Sie bleiben stehen. Ein schmales Backsteinreihenhaus, genau wie alle anderen in dieser Straße. Eine kleine Vordertreppe, eine weiße Tür. Kein Schild zeigt an, dass es mal die am häufigsten genannte Adresse in der Stadt, im ganzen Land war.
    Die Lichter sind aus. Entweder wohnt hier niemand, sagt Knipser, oder es ist niemand zu Hause.
    Als der Leichenwagen vom Friedhof wegfuhr, sagt Schreiber, fragte der Kantor: Warum? Und die Trauernden verfielen in einen Klagegesang: Warum? Warum? Warum?
    Sutton murmelt: Das würde mich auch interessieren.
     
    Durch mehrere anonyme Hinweise und ein paar Tipps aus der Szene kommen die Cops zu dem Schluss, dass Arnie Schusters Mörder höchstwahrscheinlich der Todesengel war, Freddie Tenuto, was Freddie zum meistgesuchten Mann in Amerika stempelt. Sein Fahndungsfoto erscheint in allen Zeitungen und Magazinen, hängt in jedem Flughafen, Bahnhof und Busdepot. Schon bald wird Freddie überall in New York gesichtet. Jemand sieht ihn mit einer traumhaft schönen Rothaarigen bei einem Preisboxkampf im Madison Square Garden. Die Cops unterbrechen den Kampf und durchsuchen die Menge. Jemand sieht ihn im Zug nach Long Island. Die Cops halten den Zug an, überprüfen jeden Fahrgast. Jemand sieht ihn in einem Steakhaus in Williamsburg. Die Cops stürmen den Laden, alle Gäste müssen sich an die Wand stellen. Die Stadt ist wie unter Belagerung. Alle zetern, dass der Todesengel gefasst werden muss.
    Doch ganz gleich, wer Arnies Mörder sein mag – für die Öffentlichkeit ist Willie der wahre Schuldige. Sein vergeudetes Leben hat zu Arnies Tod geführt. Er hat vielleicht nicht abgedrückt, hat den Todesschützen vielleicht nicht geschickt oder ihn nicht gekannt, aber in den Augen der Öffentlichkeit ist er verantwortlich. Die wankelmütige Stadt: New York hat Willie wochenlang gefeiert und Arnie verstoßen; jetzt ist Willie der Verstoßene und Arnie ein Märtyrer.
    Vor diesem Hintergrund wird Willie für den Raub bei Manufacturers Trust angeklagt. Dee handelt einen Deal aus, tritt als Zeuge auf, erzählt alles, und die Jury fackelt nicht lange. Willie, im schwarzweiß gestreiften Anzug und mit nach hinten gekämmtem, glänzendem Haar, betrachtet die gewaltige amerikanische Flagge über dem Kopf des Richters und hört kaum zu, als dieser ihn dazu verurteilt, den Rest seiner Tage in Attica zu verbringen:
Leider hindert mich das Gesetz daran, Sie zum Tode zu verurteilen.
    Die Cops zerren Willie unsanft vom Stuhl, legen ihm Handschellen an und führen ihn ab. Schluss mit dem widerwillig gezollten Respekt.
    Im Laufe der nächsten paar Jahre in Attica hört Willie alle möglichen Geschichten über Arnie. In jeder Version gibt es eine neue Wendung, aber die wesentlichen Fakten bleiben gleich. Freddie hat den jungen Mann umgebracht, und Albert Anastasia, der wahnsinnige Verbrecherboss aus Brooklyn, hat den Mord angeordnet. Anastasia, oft auch Mad Hatter, der verrückte Hutmacher, genannt, hat erst Freddie für den Mord an Arnie bezahlt und dann jemand anderen dafür, Freddie umzubringen und seinen Leichnam als Futter für Nutztiere im Norden zu zerschreddern. Spuren verwischen, klar Schiff machen – die üblichen Mafiamethoden.
    Aber warum? Warum sollte sich Anastasia in etwas einmischen, das ihn nichts angeht? Weil er in Brooklyn geboren und aufgewachsen ist und nichts mehr verachtet als einen Verräter. Als er sah,

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