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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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neben ihn. Der Fels-Geruch – immer noch. Er nimmt ihren Arm und legt ihn um sich, dann schlafen beide lachend ein.
    Am Vormittag fährt er mit der Straßenbahn in die Thirteenth Street. Inzwischen sind nur noch seine Eltern da. Seine Brüder haben die Stadt verlassen, die ältere Schwester ist verheiratet, Daddo gestorben. Willie sieht den Gehstock in der Ecke, versetzt dem leeren Schaukelstuhl einen Stoß. Ohne die alte Plaudertasche kommt mir das Haus leer vor, sagt Willie. Mutter antwortet nicht. Sie sitzt mit einer Tasse Tee am Küchentisch und ist nicht gewillt, ihn anzusehen. Vater steht hinter ihr und schweigt laut. Sie haben beide von Happy in der Zeitung gelesen und nehmen an, dass Willie irgendwie in die Sache verstrickt ist.
    Ich hatte nichts damit zu tun, sagt Willie.
    Sie antworten nicht.
    Ihr kennt mich doch, sagt Willie. Ihr wisst genau, ich würde nie jemand auf den Kopf schlagen und seine Brieftasche klauen.
    Dich kennen, sagt Mutter. Dich
kennen
? Wir haben nicht die leiseste Ahnung, wer du bist.
    Vater nickt und beißt die Zähne zusammen.
    Wie oft soll ich mich denn noch für die Endner-Sache entschuldigen?, fragt Wilie.
    Entschuldigen allein reicht nicht, sagt Mutter. Das ist nicht das Problem.
    Bitte, sagt Vater, wenn wir dir wirklich was bedeuten, Willie Boy, dann lass uns in Ruhe.
    Er geht zum Meadowport, setzt sich tief in den Tunnel und lässt die letzen drei Jahre Revue passieren. In der Abenddämmerung geht er hinaus, über die Wiese, durch den Park und landet bald an Eddies Türschwelle im St. George. Eddie reißt die Tür auf. Bundfaltenhose, ärmelloses weißes Unterhemd, weiße herunterhängende Hosenträger. Er hat gerade Liegestütz gemacht. Seine Arme haben den Umfang von Willies Beinen. Wo warst du, Sutty?
    Überall. Nirgends. Ich soll dich von Wingy grüßen.
    Sie gehen aufs Dach. Eddie hat eine Flasche Schnaps in seiner Gesäßtasche. Er trinkt einen Schluck und bietet sie Willie an. Willie schüttelt den Kopf. Aber er raucht gierig Eddies Zigaretten. Weil er sparen wollte, hat er in letzter Zeit auf Tabak verzichtet.
    Die Sonne ist fast untergegangen. Sie sehen die Lichter in Manhattan angehen und die Autos über die Brücke fahren. Ein Ozeandampfer, erleuchtet wie ein Manhattan in Kleinformat, macht sich ins Meer auf. Willie stellt sich die Passagiere vor: Herren, die auf den oberen Decks stehen und die frische Luft atmen, Frauen, die unten illegale Verdauungsliköre süffeln. Auf der Brooklyn-Seite der Brücke brodelt Dampf aus der Squibb-Fabrik, wo sie Medikamente für Magenkrankheiten herstellen. In der Luft hängt der schwere Geruch von Magnesiamilch.
    Willie sieht Eddie an: Ich muss immer an Happys Gesicht denken, als sie ihn in Handschellen abgeführt haben.
    Ja. Ich auch.
    Sing Sing. Mein Gott.
    Wir sind im Krieg, Sutty. Wir, die. Wie oft soll ich dir das noch sagen?
    Sie beobachten, wie die blutrote Sonne in den Fluss gleitet. Jeden Tag, sagt Eddie, verabschiedet sich die Scheißsonne auf die gleiche Art. Mit Glanz und Gloria.
    Mm.
    Hey, Sutty.
    Ja.
    Schau mich an.
    Hm.
    Ich muss dir was sagen.
    Schieß los.
    Du bist ein richtiges Skelett.
    Willie lacht. Ich bin auch hungrig.
    Wenn du ein paar Weintrauben essen würdest, hättest du wahrscheinlich eine Wampe. Wir müssen dich ein bisschen füttern, Mann. Und zwar schnell.
    Geht nicht. Ich bin vollkommen pleite.
    Du bist eingeladen, Kleiner.
    In der Flüsterkneipe an der Ecke bestellt Eddie für Willie. Hackbraten, Austern, Kartoffeln in Béchamelsauce, Salat, ein Stück Apfelkuchen mit Vanilleeis. Eddie hatte recht, das Essen hilft. Willie fühlt sich lebendig. Dann kommt die Rechnung. Er fühlt sich wieder tot. Er ist zwanzig Jahre alt, ohne Arbeit, ohne Hoffnung auf Arbeit und liegt seinem Freund auf der Tasche.
    Er sticht in seinen Kuchen. Eddie, was soll ich bloß machen?
    Zieh bei mir ein. Du kannst bleiben, so lange du willst. Du weißt, für mich bist du wie ein Bruder.
    Danke, Ed. Aber langfristig. Was sollen wir langfristig machen?
    Eddie lehnt sich zurück. Ich hätte da vielleicht eine Lösung. Für uns beide.
    Eddie erzählt Willie, dass er bei den Alkoholschmugglern aussteigen will. Happys Verhaftung hat ihm zu denken gegeben. Die Prohibition ist kein Scherz, die Regierung macht Ernst. Wenn man schon ein Risiko eingeht, dann muss es sich richtig lohnen.
    Und das heißt?
    Ein anderer Fahrer hat mir jemanden vorgestellt. Horace Steadley. Genannt Doc. Ein Geldschrankknacker aus Chicago und ein großartiger

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