Knapp am Herz vorbei

Vorstellung, wieder zurückgewiesen zu werden, bei einem weiteren Job, hat einen tiefen Reflex ausgelöst. Der Gedanke, diesen eitlen Safeknacker auf die wachsende Liste derer zu setzen, die ihn nicht wollen und brauchen können, ist ihm unerträglich.
    Eddie funkelt Willie böse an. Beherrsch dich, Mann.
    Aber Doc bleibt gelassen. Willie, sagt er ruhig, setz dich hin. Ich wollte dich nicht verletzen.
    Willie lässt sich wieder auf seinen Stuhl sinken. Doc trinkt einen Schluck Whiskey, betrachtet die flatternden Markisen vor dem Fenster. Hell, dunkel, hell, dunkel. Dann:
    Was ist dein Plan, Kleiner?
    Plan?
    Warum willst du für mich arbeiten? Bist du wie Eddie, der was lernen will? Bist du auf der Suche nach Nervenkitzel? Oder – willst du einfach nur Geld?
    Will nicht jeder Geld?, fragt Willie. Natürlich hätte ich gern drei richtige Mahlzeiten am Tag. Eine eigene Wohnung, die größer ist als eine Waschwanne. Ich möchte mich nicht vor meinem Vermieter verstecken müssen. Möchte nicht diese stinkenden Klamotten tragen. Ich würde mir gern was auf die hohe Kante legen, um vielleicht ein bisschen was von der Welt zu sehen.
    Eddie beugt sich vor. Das ist ihm neu. Du willst reisen?
    Wohin?, fragt Doc.
    Eines Tages möchte ich zum Hafen runtergehen und einen großen Dampfer besteigen. Und dann – einfach davonsegeln.
    Das würden alle gern, sagt Doc.
    Ich sehe immer die Anzeigen in den Zeitungen, sagt Willie.
Die
Aquitania
läuft jeden zweiten Mittwoch um Mitternacht aus
. Da überkommt mich jedes Mal ein Prickeln. Immer wenn der zweite Mittwoch naht, schau ich dauernd auf die Uhr.
    Irgendein besonderes Ziel?
    Europa, vielleicht. Irland. Ich weiß nicht.
    Eddie grinst. Hamburg, murmelt er.
    Doc stellt seinen Drink auf einem Safe ab, zupft an seinen weißen Handschuhen. Er wackelt mit den Fingern, knackst mit den Knöcheln. Gut, sagt er. Ich habe verstanden. Ich weiß, wer du bist, Willie, ich weiß, du bist in Ordnung. Ich wusste es schon, als du durch die Tür gekommen bist. Ich wollte dich nur testen. Du hast ein hitziges Gemüt. Das ist normalerweise gut. Willkommen an Bord.
    Du meinst – ich bin dabei?
    Du bist dabei. Ihr beide, du und Eddie. Wir arbeiten nur außerhalb. Boston, Philly, Washington. Manchmal im Norden. So verunsichern wir die Polizei. Polizisten sind schlechte Touristen. Wir gehen jedes Mal gleich vor. In den frühen Morgenstunden brechen wir in einem Schmuckgeschäft ein, knacken den Safe, holen die guten Sachen raus und setzen uns in den Zug. Bevor der erste Verkäufer am Morgen kommt, um die Vitrinen zu füllen, liegen wir zu Hause im Bett. Unser nächster Job ist in Philly. Ein Laden, den ich seit Monaten inspiziere. Schon mal in Philly gewesen?
    Ich bin noch nie irgendwo gewesen. Außer in Poughkeepsie.
    Nach diesem Job wirst du auch nicht das Gefühl haben, schon mal in Philly gewesen zu sein. Rein und raus. Zwei Stunden. Höchstens.
    Und so fängt es an.

Teil Zwei
    Das Traurigste an der Liebe, Joe, ist ja, dass nicht nur die Liebe so vergänglich ist, sondern dass man nach einer Weile auch das gebrochene Herz vergisst.
    WILLIAM FAULKNER ,
Soldatenlohn

Zehn
    Ihm gefällt alles an der neuen Arbeit. Er redet sich ein, dass das eigentlich nicht sein dürfte. Aber es ist so.
    Ihm gefällt es, in einem schicken Hotel abzusteigen, eine der schönsten Suiten zu verlangen, sich mit einer Zeitung aufs Bett zu legen und sich auszuruhen wie ein Berufsboxer vor dem Kampf. Ihm gefällt es, die Uhr im Auge zu behalten und dann um zwei Uhr morgens gelassen den Mantel anzuziehen, um sich mit Doc und den anderen an der Hintertür des Juweliergeschäfts zu treffen. Ihm gefällt, wie Eddie die Tür aufhebelt, wie Doc vorsichtig die Opernhandschuhe auszieht und die Finger um die Wählscheibe des Safes flattern lässt. Ihm gefällt der erste Anblick der Juwelen. Die Leute sind verrückt nach Diamanten, aber sie haben keine Ahnung. Die betörende Schönheit gestohlener Diamanten in einem schwarzen Seidenbeutel um zwei Uhr morgens – das ist, als würde man zum ersten Mal die Sterne sehen.
    Ihm gefällt sogar das Planen und Studieren der Materie. Willie findet den Safe als intellektuellen Gegenstand, als abstrakte Herausforderung faszinierend. Alles im Leben gleicht einem Safe, denkt er. Seine Eltern, seine Brüder, Mr Endner – hätte er nur die Kombination gekannt.
    Das Schönste allerdings ist, dass er endlich Arbeit hat. Auch wenn es ihm meist nicht wie Arbeit vorkommt. Doc hatte recht. Es ist eine