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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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obendrein – ein wahres Genie. Obwohl er sich seinen Namen in Pittsburgh gemacht hat. Mit dem verlorenen Auge.
    Dem was?
    Dem verlorenen Auge. Eine raffinierte kleine Zwei-Mann-Nummer. Der erste geht mit einer Augenklappe in ein Geschäft, er ist richtig scharf angezogen, und sagt, er hätte sein Auge verloren – sein Glasauge. Er erzählt dem Verkäufer, dass er tausend Mäuse zahlt, wenn jemand das Ding im Fundbüro abgibt. Er lässt seine Visitenkarte da – schick, mit der Telefonnummer in goldenem Prägedruck. Am nächsten Tag geht der zweite Mann mit einem Glasauge zum Verkäufer. Hat vielleicht jemand danach gesucht? Er bringt den Verkäufer dazu, ihm dreihundert zu zahlen. Warum nicht? Der Verkäufer weiß ja, das Auge ist dreimal so viel wert. Als der Verkäufer später die Nummer des ersten Mannes anruft: kein Anschluss. Doc hat das bis zur Vollendung beherrscht. Aber dann fing er mit dem Safeknacken an, vor allem in Juwelierläden, und das gefiel ihm viel besser. Inzwischen arbeitet er mit einer erstklassigen Knackerbande, und er braucht ein paar neue Leute. Er ist in Ordnung, Sutty. Richtig in Ordnung. Und er versteht sein Geschäft, er kann uns was
beibringen
. Dann gründen wir unsere eigene Bande. Und machen bei den Großen weiter.
    Den Großen?
    Banken, Sutty. Banken.
    Ach, Ed. Ich weiß nicht.
    Der Kellner kommt und räumt den Tisch ab. Eddie bestellt zwei Kaffee. Als der Kellner weg ist, faucht er: Was weißt du nicht?
    Ist das nicht – unrecht, Ed? Ich meine, verdammt. Wo bleibt da Recht und Unrecht?
    Die Welt ist unrecht, Sutty. Ich weiß nicht, warum, ich weiß nicht, wann sie aus dem Ruder gelaufen ist oder ob sie schon immer so war, aber ich weiß, sie ist unrecht, das weiß ich so sicher wie ich weiß, du bist du und ich bin ich. Vielleicht ergibt zweimal Unrecht nicht Recht. Aber auf ein Unrecht mit Recht zu antworten? Das führt nur zu Armut und Hunger. Und ein größeres Unrecht gibt es nicht.
    Die beiden schweigen eine ganze Weile. Eddie zündet sich eine Zigarette an und setzt seinen Hut auf. Los, komm und lern ihn einfach kennen, sagt er.
    Minuten später lässt Willie sich von Eddie in ein Taxi schieben.
    Docs Wohnung liegt in Manhattan, nahe dem Theater District. Als sie sich dem Times Square nähern, schaut Willie aus dem Fenster. Männer im Frack und Frauen in Abendkleidern steigen aus glänzenden Autos und eilen in Cafés, Clubs und Theater. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern sagt: Depression? Welche Depression? Willie würde auch gern ein Theaterstück sehen. Er war noch nie in einem Theater – eines von vielen Dingen, die ihm bisher versagt blieben. Er sollte offen und ehrlich mit Eddie sein und ihm sagen, das Ganze ist Zeitverschwendung. Juwelenraub liegt ihm nicht. Er weiß nicht, was ihm liegt, aber das jedenfalls nicht.
    Zu spät. Sie stehen unter der Markise vor Docs Haus. Der Portier ruft oben an, um sie anzukündigen.
     
    Sutton späht zu den Spitzen der neuen Wolkenkratzer in Midtown. O.–K., Jungs, schneller Test: Was brachte Jack Dillinger dazu, seine erste Bank auszurauben?
    Keine Ahnung.
    Ein Mädchen hatte mit ihm Schluss gemacht.
    An der nächsten Ampel links, sagt Schreiber zu Knipser. Dann gradeaus bis zur Fifty-Third.
    Es ist an der Ecke, sagt Sutton.
    Und was ist dort passiert?, fragt Knipser.
    Dort hat Doc gewohnt, sagt Sutton.
    Doc?
    Mein erster Lehrer.
    Happy, Doc – wann kommen Hatschi und Seppi?
    Ihr zwei seid Hatschi und Seppi.
    Har har.
     
    Willie und Eddie stehen in Habachtstellung, Willie rückt seine Krawatte zurecht, Eddie wischt sich Schuppen von den Schultern. Die Tür geht auf. Ein livrierter Butler nimmt Eddies Überzieher und Filzhut. Willie sagt, er möchte seinen anbehalten. Sie folgen dem Butler einen langen Flur entlang in ein tiefgelegenes Wohnzimmer. Willie schaut sich das Mobiliar dreimal an – Beistelltische, Seitentische, Couchtische –, alle Tische sind Safes. Groß, klein, Metall, Holz – Safes.
    Ein Mann tritt von einem Flur auf der anderen Seite in das Wohnzimmer. Er hat einen Riesenkopf mit dichtem weißem Flauschhaar und einen Mund voller schiefer Zähne, die er durch einen gleichermaßen dichten weißen Schnurrbart zu verbergen versucht. Kommt rein, sagt er mit dröhnender Stimme, kommt rein, Jungs.
    Das ist Doc, flüstert Eddie.
    Doc schwenkt ein Kristallglas mit Whiskey. Was nehmt ihr?
    Nichts, sagt Willie.
    Einen Doppelten von dem, was du trinkst, sagt Eddie.
    An einer Bar unter Ölgemälden, die

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