Knapp am Herz vorbei
würde ich Sie gern rumführen. Heimlich. Verdammt, ich würde Sie sogar deren Klo benutzen lassen. Aber sie sind definitiv da. Schon den ganzen Vormittag sind Gäste hochgegangen.
SUTTON:
Vielleicht gibt es eine andere Möglichkeit? Du hast da eine schicke Uniform an. Welche Größe hast du?
PORTIER:
Achtundvierzig.
SUTTON:
Was hältst du davon, wenn wir tauschen? Mein Anzug ist nagelneu.
PORTIER:
Im Ernst?
SUTTON:
Todernst. Ich geh als der neue Portier nach oben, erfinde irgendeinen Grund, warum ich an die Tür klopfe, und bevor sie sich versehen, bin ich wieder draußen.
PORTIER:
Mann, ich weiß nicht, Mr Sutton. Ich könnte meinen Job verlieren. Und wer sind Sie?
SCHREIBER:
Ich schreibe einen Artikel über Mr Sutton.
KNIPSER:
Und ich mache Fotos.
SUTTON:
Oh. Ich hab gar nicht gewusst, dass ihr hinter mir seid. Kleiner, darf ich dir die Kommandanten Armstrong und Aldrin vorstellen?
PORTIER:
Frohe Weihnachten.
KNIPSER:
Gleichfalls.
SUTTON:
Tja, nun, Kleiner. Ich versteh dich. Ich würde dir ja gern ein Trinkgeld geben, aber ich hab nur zwei Schecks von Gouverneur Rockefeller.
PORTIER:
Bitte, Mr Sutton. Ich würde kein Geld von ihnen annehmen.
SUTTON:
Sag das nicht, Kleiner. Sag das niemals. Geld sollte man nie ablehnen.
Eddie hatte recht, Doc versteht sein Geschäft. Er kann die ganze Nacht über Geldschränke reden. Und Willie kann die ganze Nacht zuhören. Nach ihren regulären Planungssitzungen im Diner an der Ecke nimmt Willie oft noch Privatunterricht bei Doc in der Wohnung.
Doc sammelt nicht nur Safes, sondern auch Zitate. Er kann jedes Thema durch ein Zitat veranschaulichen. Er mag Khalil Gibran.
Arbeit ist sichtbar gemachte Liebe
. Und Novalis.
Wir sind dem Aufwachen nah, wenn wir träumen, daß wir träumen.
Plutarch, Epiktet, Emerson – er kann sie seitenweise zitieren. Wenn er zu viel getrunken hat, fängt er immer wieder mit dem folgenden Zitat an:
Begehe ein Verbrechen, und es scheint, als ob ein Kleid von Schnee auf die Erde fiele, solcherart, wie es im Walde die Spur eines jeden Rebhuhns, Fuchses, Eichhörnchens und Maulwurfs verrät.
Eines Abends schenkt Doc sich einen Whiskey ein, zündet ein dünnes Zigarillo an und lehnt sich im Sofa zurück. Eigentlich ist alles ein trauriger Witz, Willie Boy. Die Amerikaner sind ein gutgläubiges Volk, deshalb ist der Durchschnittssafe bestenfalls ein Hindernis. Er soll dich nicht abhalten, sondern nur aufhalten. Wenn du dich mit Geldschränken auskennst, richtig auskennst, ist das Ganze ein Kinderspiel. Jeder Safe hat irgendeinen Schwachpunkt. Selbst wenn du ihn nicht knacken kannst, gibt es immer eine Möglichkeit, das Schloss zu umgehen, ein in der Fabrik eingebautes Hintertürchen für den Fall, dass der Besitzer ins Gras beißt, die Zuhaltungen nicht mehr funktionieren. Manchmal liegt die Kombination auf der Hand, der Geburtstag des Besitzers beispielsweise. Oder sie ist an einem auffälligen Ort hinterlegt. Du wärst verblüfft, wie oft sie direkt an der Wand über dem Safe steht. Für Safes gilt eine Regel, die sich auf alles anwenden lässt, Willie: Es gibt immer einen Zugang.
Neben allem Wissenswerten über Safes, klärt Doc Willie über Alarmsysteme, Türschlösser, Sicherheitsschlösser und Cops auf. Er erklärt Willie, welche Anwälte für welche Fälle am besten sind und welche man meiden sollte. Er führt ihn in der Stadt herum und macht ihn mit der Zunft bekannt. Abgebrühte Killer, halbseidene Alkoholschmuggler, alt gewordene Schränker. Safeknacker, Bankräuber, Buchmacher, Taschendiebe, Schwindler, Bandenchefs. Er stellt Willie wie einen Minister ohne Geschäftsbereich den großen Bossen vor. Legs Diamond. Owney Madden. Dutch Schulz.
Zu guter Letzt erklärt er Willie mit geduldiger Umsicht, was beim Weitertransport von Diebesgut zu beachten ist.
Dein wichtigstes Werkzeug, sagt Doc, ist nicht dein Spanner, dein Stethoskop, dein Brecheisen, sondern dein Hehler. Wer immer deine Ware zu Bargeld macht, weiß mehr über dich als jeder andere auf der Welt, einschließlich deiner Mutter, darum musst du denjenigen doppelt so sorgsam auswählen wie deine Partner.
Docs Hehler ist eine Frau, er nennt sie Moneta. Eine bekannte Dame der Gesellschaft, die jede Woche in den Zeitungen steht, weil sie haufenweise Geld für die Kirche, das Ballett oder die Bibliothek spendet. Die Zeitungen bezeichnen sie als Doyenne, als vermögende Witwe und Stütze der Gesellschaft. Doc hält sie außerdem für leicht pervers, weil sie
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