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Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Titel: Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sendhil Mullainathan
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nötig.
reserven, rücklagen und puffer
    Unser Bild vom Kofferpacken zeigt, warum Knappheit Kompromissdenken erzeugt: Wir packen große Koffer locker, stopfen nicht jede Ecke und Ritze voll und lassen an vielen Stellen noch ungenutzten Raum. Dieser Raum ist ein Puffer oder eine Reserve. Er entspricht dem Teil unseres Budgets, der wegen der Art unseres Packens ungenutzt ist. Für große Koffer ist diese Reserve typisch. Wir verfügen über sie, wenn beim Packen unser Denken nicht von Knappheit bestimmt wird, sondern von einem Überfluss an Ressourcen. Die Reserven bestimmen, ob wir Kompromisse überdenken (oder auch nicht) und auf Preise achten (oder auch nicht).
    Stellen Sie sich nun vor, Sie haben einen großen Koffer gepackt und wollen noch etwas zusätzlich hineintun. Sie können es einfach hineinwerfen. Nichts muss stattdessen raus aus dem Koffer. Sie müssen auch nichts umordnen, denn der Koffer hatte von Anfang an viel Platz − eine Platzreserve. Wollen Sie aber in einen kleinen Koffer zusätzlich etwas Notwendiges packen, müssen Sie etwas herausnehmen. Reserven geben uns das Gefühl, keine Kompromisse machen zu müssen. Wo kommt das Geld für den 10-Dollar-Cocktail her? Sind Sie wohlhabend, zählt die Ausgabe für den Cocktail so gut wie nichts. Es sind Peanuts aus der Portokasse. Reserven befreien uns von Kompromissen.
    Wir alle haben irgendwann die Wirkung von Reserven erfahren. In einer nicht zu arbeitsreichen Woche gibt es Lücken in Ihrem Zeitplan. Zwischen Besprechungen bleibt Ihnen eine Viertelstunde Pause, während in Wochen mit viel Arbeit die Pause ausfällt, weil ein schneller Telefonanruf eingeschoben werden muss. Die Zeit ist einfach da, so, wie loses Wechselgeld im Haus herumliegt. Sie fühlen keinen Druck, es zu nutzen. Sie arbeiten nicht hart daran, mit Ihrer Zeit sparsam umzugehen. Wenn eine Kollegin sagt, sie werde zwischen 10 und 11 Uhr anrufen, wollen Sie es gar nicht genauer wissen. Sie reservieren einfach die ganze Stunde für den halbstündigen Anruf.
    Viele Menschen erfreuen sich ihrer Geldreserven. Es gibt eine Untersuchung, nach der Käufer mit hohem Einkommen zweimal häufiger als üblich ihre Einkäufe überhaupt nicht verfolgen: »Ich muss das nicht machen, ich hab’ genug Geld.« 5 Nach einer holländischen Studie planen reichere Leute ihre Ausgaben überhaupt nicht und gehen bei der Finanzierung ihrer Ausgaben von ausreichend Reserven aus. 6 Sie bilanzieren zwar sorgfältig die großen Ausgaben, überlassen aber den Kauf der billigeren Dinge ganz ihrer Lust und Laune. Richard Jenkins rät beispielsweise im Web-Portal MSN, 10 Prozent des Budgets für »fun money« übrig zu lassen − als Reserve oder im wörtlichen Sinne als Spielgeld. 7
    Nicht alles auszugeben kann natürlich auch das Ergebnis guter Überlegungen und sorgfältiger Planungen sein. Es kann eine ganz bewusste Strategie sein, Platz für unvorhergesehene Ausgaben zu lassen. Das ist eine Art Versicherungspolice gegen die Launen des Schicksals. Selbst wenn Sie nur 25 Minuten brauchen, um zum Flugplatz zu kommen, werden Sie für alle Fälle 45 Minuten vorsehen. Wir verwenden aber in diesem Buch »Reserve« nicht für einen Raum, der bewusst geschaffen und sorgfältig eingeplant wird, um mit Unvorhergesehenem klarzukommen. Sie können im Koffer gezielt Platz für später lassen, etwa, um in Rom einen Einkaufsbummel zu machen. Dabei handelt es sich aber um beabsichtigte Reserven, die so sorgfältig ihren Platz zugewiesen bekommen wie andere Dinge.
    Die Reserven, von denen wir reden, sind keine Räume, die wohlüberlegt unbenutzt bleiben, sie sind vielmehr das Nebenprodukt desPackens bei einem Überfluss an Raum. In guten Zeiten registrieren wir nicht penibel jeden Dollar. Wir suchen uns ein Haus oder ein Auto aus, das uns eine bequeme Menge an Raum für anderes bietet. Wir haben eine grobe Vorstellung, welche Art von Restaurant wir bevorzugen und wie oft wir dort hingehen. Wir suchen uns einen Urlaub aus, der in etwa dem entspricht, was wir uns leisten können, statt zu rechnen, was wir auf der Bank haben, und uns dann einen Urlaub auszusuchen, der uns genau an die Grenzen unseres Budgets bringt. Deshalb kommen wir im Großen und Ganzen mit unserem Budget aus. Diese Denkweise folgt aus dem Überfluss, ihr Resultat sind Reserven. 8
    Warum haben Arme letzten Endes so wenige Reserven, die Reichen aber viele? Ein Bild aus der Tierwelt möge unsere Antwort illustrieren.
arme bienen, reiche wespen
    Keine von Menschen

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