Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
mich an.
»Es tut mir leid«, sagt er.
»Schon okay«, sage ich.
»Ich dachte, das hier ist der heiße Scheiß«, sagt er.
»Das ist der heiße Scheiß«, sage ich.
»Es ist furchtbar«, sagt er. »Es ist ein Discorestaurant.«
Ich schlage die Speisekarte auf, unter Fisch steht als erstes Gericht Gepiercter Barsch.
»Gepiercter Barsch«, sage ich. »Wie fühlt sich nur der arme Mensch, der solche Sachen kochen muss?«
»Wir können sofort woanders hingehen, wirklich«, sagt er. Er sieht gequält aus.
Ich beuge mich zu ihm rüber, damit ich nicht die ganze Zeit so schreien muss. Die Musik ist nicht nur wahnsinnig schlecht, sondern auch wahnsinnig laut. Ich finde, schon das ist immer ein Argument, in einem Laden nicht mehr essen zu wollen. Essen und laute Musik vertragen sich nicht. Genauso wie Friseur und laute Musik, Zeitschriftenkiosk und laute Musik, und Zahnarzt und laute Musik. Hab ich alles schon erlebt. Furchtbar.
»Wir ziehen das hier durch«, sage ich, »das Essen soll ja super sein.«
Ich will nicht, dass er sich schlecht fühlt. Das hätte er nicht verdient. »Aber nur unter zwei Bedingungen«, sage ich. »Erstens, wir fangen sofort an zu trinken, und zweitens, ich zahle.«
Der Anwalt nickt. Er weiß, dass ich nicht mit mir reden lasse. Und dass ich mehr Geld habe als er.
»Okay«, sage ich, »bestellen wir Bier und was zu essen, ja? Was nehmen Sie?«
»Gentleman’s Delight«, sagt er, »die Salsiccia mit gebratenen Kartoffeln.«
Das ist mit zweiundzwanzig Euro fünfzig das günstigste Gericht auf der Speisekarte. Wegen mir hätte er sich ruhig was Teureres aussuchen können. Der Anwalt sieht mir an, was ich denke.
»Hey«, sagt er, »ich mag Bratwurst.«
Dieser bescheuerte Jason kommt wieder an unseren Tisch und will wissen, womit er uns verwöhnen kann. Der Anwalt bestellt seine Bratwurst und zwei Bier. Ich nehme Fisch. Mit Kräutern gefüllt. Nicht gepierct.
Während Jason hinter der Bar verschwindet und lieber erst mal überprüft, ob seine Frisur sitzt, statt uns unser Bier aus der Leitung zu lassen, nehmen der Anwalt und ich die anderen Gäste unter die Lupe.
»Penisköpfe«, sage ich, »alles Penisköpfe.«
»Mit Mäuschen im Anhang«, sagt der Anwalt.
Es ist wirklich nicht schön. Die Männer tragen ausschließlich diesen leicht verschwitzten Business-Look mit enggeschnürten Hemdkragen und glänzenden Anzügen. Haare entweder rasiert oder an den Schädel geklebt. Penisköpfe eben. Die Frauen sind unter ihren großen blonden Frisuren durch die Bank unsichtbar. Obwohl sie amtliche Dekolletés zur Schau tragen, wirken sie vollkommen unsexy. Kleine Proseccoaufeisfickroboter.
Unser Bier kommt, aber es wird nicht von Jason gebracht, sondern von einer Frau mit goldenen Locken. Und Kurven, die nicht von dieser Welt sind. Sie stellt sich uns nicht vor, sie sagt gar nichts, sie stellt uns nur zwei Gläser Bier hin. Dabei verströmt sie eine so gewaltige Ladung Sex, dass mir die Spucke wegbleibt. Während der Anwalt eher aufpassen muss, dass ihm die Spucke nicht aufs Hemd tropft. Und er ist nicht der Einzige im Saal, dem es so geht. Alle anwesenden Männer fressen die Kellnerin mit Blicken auf, die sind richtig gierig. So was hab ich noch nie gesehen. Die Frau sieht zweifellos schön aus, aber das ist es nicht. Es scheint etwas anderes zu sein, was diese Männer so verrückt macht, etwas Altes, etwas Archaisches. Ich hab das Gefühl, ein paar von denen sind kurz davor, sich ihren Anzug vom Leib zu reißen und über sie herzufallen, nur ihre Krawatte hält sie davon ab. Wahrscheinlich ist es ein Geruch, den sie hinter sich herzieht, ein Duft aus uralter Zeit.
Der Kellnerin selbst scheint das alles nicht geheuer zu sein. Und dann wieder doch. In der einen Sekunde wirkt sie, als würde sie dem, was sie in den Männern auslöst, völlig hilflos gegenüberstehen, in der nächsten Sekunde ist sie aggressiv und abweisend, und dann wieder bewegt sie sich langsam-lasziv durch den Raum, als wäre da ein eingebauter James-Bond-Vorspann in ihrem Körper.
»Film aus«, sage ich zu dem Anwalt.
Der Ärmste ist total weggetreten. Der merkt nicht mal, dass dieser schmierige Jason mit unserem Essen gekommen ist.
»Oh«, sagt er. »Entschuldigung.«
»Macht nichts«, sage ich. Er kann ja nichts dafür.
Jason stellt die Teller ab, und ich finde, er macht dabei einen etwas beleidigten Eindruck.
»Danke«, sage ich.
Er legt den Kopf schief, zieht sein Näschen kraus, dreht sich um und dackelt
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