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Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Buchholz
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der kein Schwein Cocktails trinkt. Hätte ich denen vorher sagen können. Cocktails sind vollkommen überflüssig.
    Mir kommt eine alte Frau entgegen. Sie trägt eine graue Hose, einen hellgrauen Blazer und darunter eine noch hellgrauere Bluse. Die Sachen sind tipptopp gebügelt, aber sie haben den einen oder anderen Fleck. Die Flecken sind entweder schon sehr alt und gehen nicht mehr raus, oder die Frau sieht sie einfach nicht mehr. Sie geht gebückt, schiebt einen von diesen Rollapparaten vor sich her. Am rechten Griff hängt eine schwarze Tüte, auf der Tüte steht in goldener Schrift Vanity Fair. Sie bleibt stehen, kuckt erst den Abendhimmel und dann mich an und sagt: »Ach, wie schön. Es schneit. Es schneit ja so selten auf Sankt Pauli.«
    Ich sage ihr, dass mich das mit dem Schnee auch sehr freut, und versuche ein möglichst mitleidfreies Lächeln.
    Immer wenn ich alte Frauen sehe, die so verloren durch die Stadt laufen, wird mir hundeeinsam zumute. Ich rufe Carla an.
    »Hallo?«
    »Ich bin’s«, sage ich. »Was machst du?«
    »Ich gehe spazieren«, sagt sie.
    »Wo, mit wem und warum?«, frage ich.
    Carla geht nie spazieren.
    »Mit Rocco«, sagt sie, »an den Deichtorhallen. Wir suchen die Palmen, weißt du? Diese drei verhungerten Dinger, die da immer auf der Kreuzung stehen, die sind weg, und wir wollten mal sehen …«
    »Okay«, sage ich, »okay.«
    Ich lege auf. Irgendwie ist mir gerade nicht nach Kitsch. Und das hört sich nach einer verdammt kitschigen Nummer an.
    Ich hole mir ein Bier bei dem schlechten Asiaten. Der Laden ist immer voll, da rennen alle hin wie die Bekloppten. Ich kann das nicht verstehen. Ich würde da nie essen. Schmeckt alles wie ein alter Lappen. Riecht auch so. Aber Bier kann man kaufen.
    Als ich mit meinem Bier in der Hand rauskomme, sehe ich, dass bei Klatsche Licht ist. Für einen Moment freue ich mich, dass er da ist, wir könnten ja noch was zusammen trinken, denke ich, und nicht drüber reden. Dann sehe ich ihn durch sein Wohnzimmer laufen, und ich sehe auch das Mädchen, das den Kopf zurückwirft und lacht. Sie sieht süß aus, jung und fröhlich und glockenhell.
    Ich kaufe mir ein zweites Bier und sehe zu, dass ich möglichst schnell in meine Wohnung komme. Dann lege ich Johnny Cash auf den Plattenteller und drehe alle Knöpfe auf zehn.

Sie war auf dem Weg zu ihrem Freund. Der studierte in einer anderen Stadt. Sie fuhr mit dem Zug, das machte sie jedes zweite Wochenende. Im Zug war nicht viel los. Es war Winter, es war schon seit einer Stunde dunkel. Sie saß alleine im Abteil und las eine Zeitschrift. Sie saß am Fenster. Gemütlicher. Sie reagierte gar nicht groß darauf, dass die Tür aufging und sich jemand zu ihr ins Abteil setzte, sie war so in ihre Zeitschrift vertieft. Der Typ quatschte sie trotzdem an. Sie war höflich, sah kurz auf und lächelte. Der Typ war widerlich. Er war vielleicht fünfzig, trug einen dunkelblauen Hut und einen schäbigen dunkelblauen Mantel mit speckigem Kragen, da lagen ganz viele Schuppen drauf. Seine Brille sah aus, als wäre sie seit Wochen nicht geputzt worden. Er hatte sich auf den mittleren Platz gesetzt, ihr schräg gegenüber, und er hatte die Beine quer durchs Abteil gestreckt. Hätte sie rausgewollt, hätte sie über ihn drüberklettern müssen. Die Abteiltür hatte er zugemacht. Die Vorhänge waren auch zur Hälfte vorgezogen, sie hatte da vorher gar nicht drauf geachtet. Sie versuchte ihn zu ignorieren und weiterzulesen. Aber er hatte sie die ganze Zeit im Blick, quatschte sie immer wieder an. Sie reagierte nur so viel wie unbedingt nötig. Irgendwann fing er an, heftig zu atmen, während er sie anstarrte und die Hand in seiner Hose hatte.
    Als er fertig war, fragte er sie, ob sie im Zugrestaurant was mit ihm trinken gehen wolle.
    Disco
    I ch hab mir mal geschworen, nie, aber auch wirklich niemals Filterkaffee in der Gerichtskantine zu trinken. Aber wenn sich der Tag sowieso schon so bitter anfühlt, dann ist es ja auch schon egal. Dann kann man in der Verhandlungspause auch bitteres Zeug in sich reinschütten.
    »Becher oder Tasse?«
    »Becher«, sage ich.
    »Milch und Zucker gibt’s an der Kasse.«
    »Danke.«
    Es schmeckt ekelhaft. Ich setze mich an einen der Tische und rufe den Calabretta an. Er geht nicht ran. Ich klappe mein Telefon zu und lege es vor mir auf den Tisch.
    »Ich würde immer rangehen, wenn Sie mich anrufen.«
    Ach nee. Der nette Anwalt. Ich sage das nicht nur so, dass der nett ist. Ich meine das ernst.

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