Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
»ich würd’s dir sagen, wenn’s anders wäre.«
»Ich weiß«, sagt der Schulle.
Er sieht mich an.
»Los, hauen wir ab«, sagt er.
»Das war’s?«, frage ich.
»Ja. Wenn der Opi hier sagt, da ist nichts, dann ist da nichts.«
Mein Gefühl sagt, dass der Schulle recht hat. Die Leiche in der Elbe und die Leichen in diesem Haus hier haben absolut nichts gemeinsam.
Mein Telefon klingelt. Klatsche ist dran.
»Wo bist du?«, fragt er.
»Im Haus der tausend Eier«, sage ich mit wichtiger Stimme. Ich tue so als wäre ich Kojak. Klatsche weiß solche Gags zu schätzen, und ich will ihm eine Freude machen.
Aber er lacht nicht.
»Du musst nach Hause kommen«, sagt er. Seine Stimme klingt, als würde er in einem dunklen, feuchten Keller sitzen und Steine essen.
Mir wird ein bisschen schwindelig, ich halte mich kurz am Schulle fest.
»Was ist passiert?«, frage ich.
»Weiß ich nicht genau«, sagt er. »Aber es ist was mit Carla.«
Doppelpack
S ie will mir nicht erzählen, was passiert ist«, sagt Klatsche, als er mir die Tür aufmacht. »Und ich darf sie nicht anfassen. Sie klebte vorhin völlig verwüstet auf der Treppe vor unserer Haustür. Ich hab’s kaum geschafft, sie da wegzukratzen.«
Er reibt sich seine Bartstoppeln, er sieht ziemlich derangiert aus.
»So schlimm?«, frage ich.
»Ich glaub schon.«
Ich gebe ihm einen schnellen Kuss auf die Wange und schiebe ihn zur Seite.
»Wo ist sie?«
»Wohnzimmer«, sagt er.
Ich gehe ins Wohnzimmer und kriege einen Schreck.
Es gibt Augenblicke, die verdienen mehr Nikotin, als ein Mensch vertragen kann. Die gehören verdunkelt und mit Nervengift zugeballert, für immer im Nebel versenkt. Ich zünde mir eine Zigarette an, meine Hände zittern.
Meine beste Freundin Carla, meine Gefährtin, meine Mutter und meine Tochter zugleich, meine gottverdammte Familie, sitzt in Klatsches Wohnzimmer, zusammengekauert in einer Ecke. Sie hat die Knie angezogen und hält ihre Beine fest umklammert, ihr Gesicht ist in ihrem Busen vergraben, und über all dem liegen ihre dunklen Locken, glanzlos, als wären sie eine alte Decke. Sie wippt vor und zurück, vor und zurück, vor und zurück. Auf ihren Armen und Beinen sind jede Menge Staub und Schrammen und blaue Flecken verteilt. Sie sieht aus, als wäre sie einmal über die Reeperbahn geschleift worden. Ich ziehe an meiner Zigarette, so sehr ich kann, am liebsten würde ich den Mount Everest inhalieren. Ich knie mich vor Carla hin und lege meine Hände auf ihre Schultern. Sie zuckt zusammen.
»Ich bin’s«, sage ich leise, »ich bin’s, mein Herz.«
Sie wippt weiter.
Ich will ihr Gesicht sehen.
»Carla«, sage ich, »schau mich mal an.«
Sie wippt. Vor, zurück, vor, zurück.
»Carla? Hörst du mich?«
Wippen.
Ich fasse sie ein bisschen fester an. Fehler. Sie schlägt meine Hände weg und versetzt mir einen Tritt. Ich fliege nach hinten und knalle mit dem Rücken auf den Holzboden. Bei dem Versuch, meine Zigarette festzuhalten, verbrenne ich mir die Hand.
Carla hebt den Kopf und sieht mich an.
Ihr linkes Auge ist fast komplett zugeschwollen, ihre Lippen sind aufgeplatzt, und unter ihrer Nase klebt ein bisschen getrocknetes Blut.
Ich sammle mich vom Fußboden auf, schmeiße die Kippe aus dem Fenster und setze mich wieder zu Carla. Ich versuche ihre Hände zu nehmen. Das geht. Ich lasse eine Hand auf ihren Händen, mit der anderen fange ich ganz vorsichtig an, ihr übers Haar zu streichen. Sie sieht mich immer noch an. Sie hat aufgehört zu wippen.
»Carla«, flüstere ich. »Was ist passiert?«
Aus ihrem intakten Auge beginnen die Tränen zu laufen. »War das ein Mann?«
Sie schüttelt den Kopf und vergräbt ihn wieder. Dann sagt sie irgendwas.
»Was?«, flüstere ich. »Sag das noch mal, Liebes.«
Und dann verstehe ich.
Zwei, hat sie gesagt. Es waren zwei Männer.
Das kommt nie wieder
I ch hatte immer Angst davor, dass so was eines Tages passieren würde. Ich hatte immer die Befürchtung, dass Carla zu leichtfüßig ist, zu offen, zu unbekümmert, zu schön. Dass das gefährlich werden könnte. Aber dass ihr tatsächlich mal jemand was antun würde, das konnte ich mir dann doch nicht vorstellen. Ich hatte die Illusion, dass ich sie beschützen kann. Ich dachte, Carla geschieht nichts, weil es mich gibt. Hab ich mir so zurechtgelegt, ich Idiotin. Carla ist meine Freundin, die einzige, die ich habe, sie gehört zu dem wenigen Wertvollen in meinem Leben. Die Idee, dass ihr einer weh tun könnte, konnte ich
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