Knight 02 - Stuermisches Begehren
Sprache. Die Menge antwortete in regelmäßigen Abständen, wie in ei- nem Gottesdienst. Alice erschauderte.
Als sie und ihr Begleiter unten angekommen waren, be- gann Orpheus sich sofort durch die schwankende Menge zu schieben. Sie tippte ihm auf die Schulter.
„Ich bin auf der Suche nach Lady Glenwood!“ schrie sie, um den donnernden Trommelhall zu übertönen. „Kennen Sie sie?“
„Keine Namen, Kind!“ Finster blickte er sich um, wie um sicherzugehen, dass niemand sie gehört hatte, und senkte dann den Kopf zu ihr herab. Ihr fiel auf, dass er plötzlich gar nicht mehr betrunken’ zu sein schien. „Sie dürfen hier keine Namen nennen“, wiederholte er scharf. „Meine Güte, Sie sind wirklich neu hier, was? Nein, ich kenne die Frau nicht.
Und jetzt folgen Sie mir, und sprechen Sie mit niemandem, sonst kommen Sie in höllische Schwierigkeiten.“
Betroffen folgte Alice Orpheus durch die Menge. Alice schätzte, dass über hundert Leute anwesend waren, während sie das Meer der Gesichter nach Caro absuchte. Orpheus wählte einen Platz inmitten der Menschenmenge und blieb stehen. Sie wandten sich zur Bühne. Die Stimme des blei- chen jungen Mannes wurde lauter, und die Leute antworte- ten einstimmig. Alice verstand zwar kein Wort, spürte aber, wie die Erwartung stieg. Nach ein paar weiteren bizarren Gesängen wandte sich der bleiche Mann mit erhobenen Hän- den an die Menge. Vor Erregung sprach er immer schneller, sein nasaler Tenor wurde immer höher. „Vee-nee-ay mil-sit dren-sa-il Draco!“
Beim Klang des Namens wurde das Becken geschlagen. Feuer flammten in den Kohlebecken am Bühnenrand auf, als die Assistenten des Priesters Öl hineingossen. Der Chor und das monotone Brummen verklang, aber die Trommeln dröhnten leise weiter, und die Leute ringsum begannen zu rufen: „Draco, Draco.“
Am Bühnenende ging eine Flügeltür auf. Alice starrte wie gebannt auf die große, mächtige Gestalt, die dort herausstol- ziert kam, das Gesicht von der Kapuze der wallenden schwarzen Seidenrobe verhüllt. Geschmeidig wie ein schwarzer Panter trat er in den Mittelpunkt der Bühne. Die Flammen ringsum spiegelten sich im Stoff der schwarzen Kutte, schienen ihn zu liebkosen. Vorn stand die Kutte offen und gab den Blick auf schwarze Hosen und Stiefel und ein weites weißes Hemd frei, das über der gebräunten muskulö- sen Brust nur halb zugeknöpft war. Alice betrachtete ihn voll Staunen. Draco blieb stehen und drehte sich zur Menge um. Unter den Ärmeln der Kutte schauten weiße Spitzenman- schetten hervor, als er die Arme ausbreitete. Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden.
Seine Augen und die obere Gesichtshälfte lagen im Schat- ten der Kapuze, daher starrte sie wie gebannt auf seinen mar- kanten, wie gemeißelten Unterkiefer und das kräftige Kinn. Dann begann er zu sprechen, und seine tiefe, faszinierende Stimme rollte mit natürlicher Autorität über die lauschende Menge hinweg und hallte in der ganzen Grotte wider.
Die Menschenmenge tobte vor Verzückung.
„Heute Abend sind wir zusammengekommen, um zwei neue Adepten in unserer lasterhaften und verderbten Mitte zu begrüßen.“ Die Masse jubelte ob dieser Beleidigungen, worauf ein höhnisches Lächeln über seine Lippen huschte. „Wie ihr alle, wurden auch sie von den Ältesten geprüft und für würdig befunden“, verkündete er. „Adepten, tretet vor, um den letzten Ritus zu empfangen.“ Er zog die Kapuze zu- rück und enthüllte ein Gesicht von brennender, lasterhafter Schönheit.
Alice hielt den Atem an, als sie eine schicksalhafte Vorah- nung überkam. Lucien Knight. Ein Blick genügte, um jeden Zweifel auszuräumen. Er hatte die edlen, kühnen Züge eines Abenteurers und silbergraue Augen, die wie Diamanten glit- zerten. Das schwarze Haar betonte seinen sonnengebräunten Teint und sein weiß strahlendes boshaftes Lächeln.
Dann keuchte sie auf. Zwei nackte Frauen krochen auf die Bühne und bewegten sich auf Händen und Knien zu ihm hi- nüber. Lieber Gott, bitte lass es nicht Caro sein. Zu seinen Füßen hockten sich die Frauen hin, und Alice wurde vor Er- leichterung fast ohnmächtig, als sie erkannte, dass keine von beiden ihre Schwägerin war. Draco legte ihnen die Hände auf den Kopf und begann in derselben Fantasiesprache zu singen, die auch der bleiche Jüngling benutzt hatte. Die Frauen stöhnten und liebkosten ihn dabei ohne Unterlass. Alice beobachtete, wie ihre Hände über seine harte, sehnige Gestalt glitten, als könnten
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