Knight 02 - Stuermisches Begehren
war. Angesichts der rotblonden Lo- cken, die wie die goldene Morgenröte glänzten, und der rie- sengroßen blauen Augen war er einen Moment lang völlig überzeugt, dass es sich um einen gefallenen Engel handelte – er hätte sich nicht gewundert, wenn sie unter der braunen Kutte silbrige Flügel verbarg. Anscheinend war sie zwi- schen achtzehn und zweiundzwanzig Jahre alt – eine beben- de Schönheit von jungfräulicher Reinheit. Er wusste sofort, dass sie völlig unberührt war, so unmöglich das an diesem Ort auch schien.
Ihr Gesicht war stolz und misstrauisch. Ihre glatte Haut leuchtete bleich im Kerzenschein, und ihre weichen, vollen Lippen weckten ein Begehren in ihm, das ihm wie Cham- pagner in den Adern prickelte – und süßer war als alles, was er seit seiner lang zurückliegenden Jugend empfunden hat- te. In ihrem zarten Gesicht spiegelten sich Intelligenz, Mut und eine Verletzlichkeit, die ihn mit Schmerz erfüllte, weil alle Unschuld dem Untergang geweiht war.
Eine edle junge Frau mit einer Aufgabe, dachte er. Viel- leicht war sie gekommen, um einen Drachen zu erlegen – sein schwarzes Herz hatte sie jedenfalls schon mit ihren tiefblauen Augen durchbohrt. Ihm kam es so vor, als könnte sie ihn auf einen Blick durchschauen, so wie er alle anderen durchschaute. Das machte ihm Angst, und gleichzeitig fas- zinierte es ihn. Wenn nur ...
Und nun, da die erste Verwunderung allmählich wich, traf ihn die Wirklichkeit wie ein Paukenschlag: Er kannte die junge Frau nicht. Er hatte sie nie zuvor gesehen, geschwei- ge denn hier zugelassen.
Lieber Himmel, dachte er plötzlich entsetzt, genau so eine Waffe würde Fouché gegen mich einsetzen!
Rücksichtslos verstärkte er den Griff um ihr Gesicht, denn auch Unschuld konnte vorgeschützt werden. Er bemerkte
die Angst in ihren Augen. Es war ihm egal. „Na, wen haben wir denn da?“ murmelte er. „Sind ein hübsches kleines Ding, was, meine Süße?“
„Lassen Sie mich los!“
Er lachte boshaft, als sie sich losreißen wollte. Sie packte ihn an den Handgelenken und versuchte, seinen gnadenlo- sen Griff zu lösen. Von wegen Flügel, dachte er bitter und wunderte sich über seinen unvernünftigen Einfall – ange- starrt wie ein liebeskranker Jüngling hatte er sie! Das Ein- zige, was dieses Weibsstück unter der Kutte verbarg, war wahrscheinlich ein Dolch, dem sie ihn auf Fouchés Befehl zwischen die Rippen rammen sollte!
Er war empört, dass sie ihn beinahe mit seinen eigenen Waffen geschlagen hätte, und wenn es auch nur für einen winzigen Moment gewesen war, aber in Anwesenheit so vie- ler ausländischer Agenten wollte er kein Aufheben machen. Seine Gäste kamen vom Habsburgischen Hof, aus Neapel und Moskau; sogar den unangenehmen, feisten amerikani- schen Doppelagenten Rollo Greene hatte er in der Menge entdeckt. Zum Glück war Lucien gut darin, die Wahrheit zu verschleiern. Er musste die junge Frau allein sprechen, um zu erfahren, wer sie war und für wen sie arbeitete.
Da er sich sicher war, dass sie unter ihrer Kutte irgendei- ne Waffe versteckte, hinderte er sie daran, danach zu grei- fen, indem er ihre Handgelenke brutal hinter ihrem Rücken packte und sie an sich drückte. Die kleine Wildkatze wehr- te sich nach Kräften, wand sich wie verrückt in seinem Griff.
„Lassen Sie mich sofort los!“
Er lachte lauthals, als sie mit der Hüfte seine Lenden streifte. „Hmm, das gefällt mir“, schnurrte er und presste ihre schlanke Gestalt noch enger an sich.
„Sie ekelhafter ... hören Sie sofort auf!“ schrie sie ihn an. „Sie tun mir ja weh!“
„Gut.“ Er schob sein Gesicht an das ihre heran und schau- te ihr drohend in die Augen. „Also dann, meine Hübsche, dann wollen wir beide uns mal zurückziehen.“
Abrupt hörte sie auf, sich gegen ihn zu wehren. Ihre Au- gen weiteten sich, und ihr schönes Gesicht wurde ganz bleich.
Ohne Vorwarnung hob er sie hoch und warf sie sich über
die Schulter. Ihre Schreie gingen im allgemeinen Gelächter der Menge unter, während Lucien sie nach Barbarenart in seinen geheimen Beobachtungsstand hinter den glühenden Augen des Drachens trug.
Seine breite Schulter war hart wie Stahl, sein ganzer Kör- per schien vor Zorn wie ein Hochofen zu glühen. Alices Vor- stellung von der Wirklichkeit hatte durch die Dekadenz auf Revell Court schon merklich gelitten, und während der dä- monische Meister sie davontrug, geriet sie vollends durchei- nander. Die Leute, die Lucien Knight lautstark anfeuerten und
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